Regeln? Noch mehr Regeln? Im Ernst? Ist unser Leben nicht komplex genug? Müssen wir noch mehr Regeln akzeptieren, die nicht einmal unsere individuelle Situation berücksichtigen? Wenn wir wissen, dass jeder Mensch von seinen Erfahrungen geprägt ist, ändern dann Regeln, die ja auf Verallgemeinerungen basieren, wirklich etwas in unserer Welt?

Jordan B. Peterson, klinischer Psychologe und Professor an der Universität Toronto, glaubt ja. Er hat einen internationalen Bestseller über „12 Regeln für ein sinnvolles Leben“ geschrieben. Er ist überzeugt, dass diese Regeln, die sich aus Religion, Philosophie, Neurowissenschaft und Anthropologie ableiten, eine große Bedeutung haben, insbesondere in Bezug auf die christliche Ethik, die die westliche Kultur prägt – und vor allem bezüglich unserer Pflicht, Leiden zu akzeptieren und zu lindern.

Petersons Bezugnahme auf Gott und die Philosophie, seine kontroversen Äußerungen über Männer und Frauen und seine Gedanken über die Disziplinierung von Kindern durch Gewalt könnten den Leser (mich einbezogen) abstoßen.

Manche hassen ihn, andere verehren ihn. Peterson fehlt es jedoch nie an Aufrichtigkeit und seine Botschaft ist klar: Man „muss“ die Verantwortung für sein Leben übernehmen.

Bilde dir deine Meinung und entscheide für dich selbst, ob die eine oder andere Regel dich ansprechen könnte. Hier sind sie in zusammengefasster Form:

Regel 1: Steh aufrecht und mach die Schultern breit.

Peterson glaubt, dass Menschen sich gegen Aggressionen wehren und verteidigen müssen. Unterdrückung abzulehnen sei ein moralisches Gebot; man will die Last der Existenz tragen.

Regel 2: Betrachte dich als jemanden, dem du helfen musst.

Peterson erkennt mitfühlend an, dass Scham- und Minderwertigkeitsgefühle sehr ursprüngliche Aspekte der kollektiven menschlichen Psyche sind. Doch, du verdienst Respekt und Wertschätzung. Du bist für andere genauso wichtig wie für dich selbst …

Daher bist du moralisch verpflichtet, für dich selbst zu sorgen. Menschen neigen dazu, schlecht von sich zu denken, dunkle Gedanken zu haben und schreckliche Wünsche zu hegen. Selbstverachtung ist jedoch kein tugendhaftes Verhalten, predigt er, sondern eine Form von Unterdrückung und Mobbing sich selbst gegenüber. Stattdessen sollte man sich um sich selbst kümmern; die wichtigste Person in deinem Leben bist du

Regel 3: Freunde dich mit Menschen an, die es gut mit dir meinen.

Peterson rät dir, schlechte Freundschaften zu beenden und dich mit Menschen zu umgeben, die deine Ambitionen unterstützen, dich zur Rechenschaft ziehen und deine Bemühungen und dich wertschätzen. Wie im gesamten Buch, fordert Peterson dich dazu auf, deine eigenen Stärken zu finden und darauf aufzubauen.

Regel 4: Vergleiche dich mit dem, der du gestern warst, nicht mit irgendwem von heute.

Um Prioritäten zu setzen, empfiehlt Peterson, das Leben so zu sehen, wie es ist. Er ist überzeugt, dass du den Nihilismus überwinden kannst. Entscheide dich, dass du etwas Besseres mit deinem Leben vorhast, denn das tust du. Sieh deine Fortschritte und schätze dich dafür. Vergleiche dich nicht mit anderen; sie haben eh das bessere, schönere, reichere Leben … oder so.

Regel 5: Lass nicht zu, dass deine Kinder etwas tun, das sie dir unsympathisch macht.

Kinder testen Grenzen aus, sei es durch spontane oder absichtliche Aggression. Peterson spricht das Offensichtliche aus: Eltern sind dafür verantwortlich, ihren Kindern beizubringen, was richtig und was falsch ist, und ihnen klarzumachen, dass Aggression in der Gesellschaft nicht akzeptabel ist. Eltern wollen immer unterstützen, aber er warnt auch davor, ihre Autorität zu missbrauchen.

Für die Integrität der individuellen Psyche ist der Beitrag der Gemeinschaft notwendig. Mit anderen Worten: Es braucht ein Dorf, um einen Geist zu organisieren.

Habe Regeln, halte sie aber auf einem Minimum. Setze die minimal notwendige Kraft ein, um deine Kinder zu regulieren.

Aber entschuldige dich bei deinen Kindern, wenn du sie schlecht behandelst, sei es aus Versehen oder absichtlich. Vergiss nicht, dass du ihr Vorbild bist. (Harry: „Dies steht im Widerspruch zu Petersons abscheulicher Befürwortung von Gewalt im Namen der Disziplin“).

Laut Peterson ist es viel verantwortungsvoller, seine Kinder im Umgang mit unvermeidlichen Gefahren, Tragödien und Ablehnung kompetent zu machen, als sie davor zu beschützen.

Regel 6: Räum erst mal dein Zimmer auf, ehe du die Welt kritisierst.

Peterson sagt, dass du ehrlich zu deinen Fehlern stehen und dich auf die unvermeidlichen Tragödien des Lebens einlassen sollst. Doch es ist nicht deine Erziehung, die dein Leben als Erwachsener bestimmt; dein Wille sei die stärkste Kraft für das Gute in deinem Leben.

Richte deinen Blick auf das Gute, das Schöne und das Wahre und konzentriere dich dann gezielt und sorgfältig auf das, was in jedem Augenblick wichtig ist.

Wenn du weißt, wo du stehst, kannst du entscheiden, wohin du gehen willst. Wenn du weißt, wohin du gehst, kannst du das allgegenwärtige Chaos eindämmen, Ordnung und Klarheit schaffen und Hoffnung wecken. Mit diesem Wissen kannst du vermeiden, ein schlechter Mensch zu sein. Du kannst helfen, die Welt zu einem besseren Ort zu machen.

Regel 7: Strebe nach dem, was sinnvoll ist (nicht nach dem, war vorteilhaft ist).

Das Überleben hängt von der Zusammenarbeit ab, und Peterson rät zu verzögerter Befriedigung. Er gibt der Sinnfindung den Vorrang, im Gleichgewicht zwischen transformierendem Chaos und makelloser Ordnung. Sinnstiftend zu leben, gibt dir Kraft für den chaotischen Alltag und Durchhaltevermögen für die Momente, die schmerzen und dich leiden lassen.

Regel 8: Sag die Wahrheit – oder lüge zumindest nicht.

Peterson zeigt Einsicht, wenn er schreibt, dass Lügen die Welt manipulieren, um sie deinen Wünschen anzupassen. Lügen schränken deine Neugier ein, was dein Wachstum hemmt.

Er lobpreist Selbstmitgefühl und das Eingeständnis von Fehlern und Schwächen. Der Mensch erschafft die Wirklichkeit durch die Gabe der verwandelnden Sprache, sagt er, und die Wahrheit macht diese Wirklichkeit lebenswert, erneuerbar und verlässlich.

Regel 9: Gehe davon aus, dass die Person, mit der du sprichst, etwas weiß, was du nicht weißt.

Der Grund, warum Menschen miteinander reden, so Peterson etwas verkürzt, ist, herauszufinden, was sie wirklich denken. Er ernennt den Zuhörer zum Repräsentanten des gemeinsamen Menschseins. Die höchste Form des Gesprächs ist seiner Meinung nach, wenn alle versuchen zu lernen und ein gemeinsames Problem zu lösen.

Regel 10: Sei präzise in deiner Ausdrucksweise

Wenn du die Probleme in deinem Leben leugnest, so Peterson, werden sie gären und wachsen. Stattdessen sollte man ein Problem genau formulieren, damit man sich ihm stellen und es lösen kann. Seine Sprache ist immer klar und einfach – Ausdruck eines präzisen Denkens.

Regel 11: Störe nicht deine Kinder beim Skateboard fahren.

Kultur sei immer unterdrückend gewesen, gibt Peterson zu, aber genau das forme die Gesellschaft. Um stark und fähig zu werden, müssen Kinder lernen, unabhängig zu sein. Wenn sie Skateboard fahren oder auf andere Weise ihre Grenzen austesten, sollte man ihnen nicht im Weg stehen oder versuchen, sie zu beschützen, „bis sie schwach werden“.

In einer hochfunktionalen Gesellschaft ist es die Kompetenz des Menschen, die seinen Wert bestimmt, nicht seine bloße Macht.

Regel 12: Läuft dir eine Katze über den Weg, dann streichele sie

Peterson argumentiert, dass man jemanden nicht trotz, sondern wegen seiner Grenzen liebt. Er empfiehlt, zu kontrollieren, was man kann, und zu akzeptieren, was man nicht kann. Um mit den unvermeidlichen Krisen des Lebens umzugehen, sollte man sie in Kategorien einteilen.

Wenn du durch deine Nachbarschaft gehst, bemerke die guten Dinge, genieße die Momente, so klein sie auch sein mögen. Und wenn du eine Katze siehst, sagt er, streichle sie. (Der Leser mag sich fragen, ob Peterson selbst diesen Rat befolgt. Wenn ja, dann könnte er wirklich zerkratzte Hände haben.)

Bonus Regel 13 by Harry: Nimm dich wichtig, aber nicht zu wichtig

Eine ausgewogene Haltung zu sich selbst ist wichtig. Es gilt, sich selbst ernst zu nehmen, sich um sich selbst zu kümmern und die eigenen Bedürfnisse und Wünsche zu beachten. Gleichzeitig sollte man jedoch nicht zu selbstbezogen sein und auch andere Dinge und Menschen im Leben schätzen und respektieren. Indem man sich selbst wichtig nimmt, aber nicht zu wichtig, führt man ein erfülltes Leben und es fällt leichter, Beziehungen zu anderen aufbauen und aufrechterhalten.

Fazit

Komplexität verständlich gemacht.

Peterson hat die seltene Gabe, erstaunlich schwierige und paradoxe philosophische, religiöse und evolutionäre Fragen und Fakten so zu formulieren, dass sie einfach und verständlich sind. Dieses Talent, Kompliziertes verständlich zu machen, ohne dass es an Komplexität verliert, macht seine Gedanken lesenswert und nachvollziehbar, unabhängig davon, wie man zu seiner Ideologie steht.

Manchmal klingt er erstaunlich didaktisch für jemanden, der die vielen Facetten der Grundfragen des Lebens wahrnimmt und wiedergibt. Diese beinahe Strenge rührt von etwas her, das in unserer relativistischen und unbeständigen Zeit noch seltener geworden ist: moralische Gewissheit.

Peterson glaubt, dass er in einem faktischen, moralischen und religiösen Sinn Recht hat; sein Glaube kommt aus seinem Glauben. Und unabhängig davon, ob man mit seiner Position einverstanden ist oder nicht, stellt Peterson einen festen moralischen Kompass als eine notwendige menschliche Eigenschaft dar, um die Ungewissheit der heutigen Zeit zu überwinden oder zumindest sie zu akzeptieren.

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