Laut einer „Corona Studie“ der Forschungsgruppe g/d/p berichtet jeder zweite Befragte von einem gestiegenen Gesundheitsbewusstsein – und man verbringt mehr Zeit mit der Familie, kocht mehr und isst regelmäßiger, geht häufiger spazieren und ist mehr an der frischen Luft, man gärtnert und fährt mehr Fahrrad.

Sollte nicht der Fokus eines jeden Einzelnen auf dem Finden neuer Ressourcen und hilfreicher Lösungen in herausfordernden Situationen liegen?

Oftmals stellen wir erst fest, wie gut es uns geht, wenn es uns mit einem Schnupfen erwischt, die Nase läuft, man schläft schlecht und fühlt sich miserabel und wünscht sich nichts mehr, als dass es jetzt bald vorbei ist.

Eigenverantwortung oder Schicksal?

Die antike Medizin, die sich seit dem fünften Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung (v. u. Z.) entwickelte und die vor allem mit den Namen von Hippokrates und Galen assoziiert wird, hat Grundlegendes zur Entwicklung der wissenschaftlichen Medizin, wie wir sie heute kennen, beigetragen. Wir benutzen noch heute in der Medizin Begriffe, wie „Natur“, „Ursache“, „Symptom“, „Indikation“, und Methoden, wie die des Experiments oder die der Differenzialdiagnose, welche auf die Antike zurückgehen.

Aber die antike Medizin hat mehr als nur historische Bedeutung: Zum ersten Mal wurden hier wesentliche Fragen zu den theoretischen und ethischen Grundlagen der Medizin gestellt, die auch heute noch aktuell sind.

Auch in der griechischen Philosophie gewann die Gesundheit an Bedeutung. So billigte Aristoteles (384–322 v. u. Z.) der körperlichen Gesundheit eine wichtige Rolle für moralisches und intelligentes Handeln zu. Er war der Ansicht, dass geistige und körperliche Gesundheit eng miteinander verbunden sind: Zur Ausübung der charakteristischen menschlichen Fähigkeiten – Vernunft, Sprache, sittliches und gesellschaftliches Leben und Handeln – bedürfe es einer gesunden körperlichen Grundlage, wohingegen umgekehrt ein ungesunder geistiger Zustand (etwa Stress oder Depressivität) negativ auf den Körper einwirken könne.

Und jetzt möchte ich dir Karen Plättner vorstellen, eine treue, langjährige Leserin meiner SMSS. Im Jahr 2018, als sie auf der Durchreise in Zürich vorbeikam, trafen wir uns zum Präsenz-Kennenlernen auf einen Kaffee.

Du fragst, warum erwähne ich das? Nun, weil sie mit Abdullah Sinirlioglu im letzten Dezember ein Buch veröffentlicht hat, das mir sehr gut gefällt und voller Weisheiten steckt, wie man präventiv mit seiner Gesundheit umgehen könnte. Und bevor ich eine Rezension schreibe, dachte ich, das lesen wir lieber von Karen direkt.

Ratgeber trifft Philosophie

Karen Plättner/ Abdullah Sinirlioglu, Anstiftungen zum guten Leben. Wissenswertes über Ernährung, Bewegung, Erholung und Kognition. Mit einem Essay von Felix Magath, Aachen 2020, Edition Bewango.

Wir leben in einer Zeit, die sich das Wort GESUNDHEIT in großen Lettern auf die Fahnen geschrieben hat. Tagtäglich werden wir über die audiovisuellen Kanäle mit Fakten zum Thema Gesundheit geflutet. Aber worauf kommt es in dieser Faktenflut wirklich an? Und was gehört außer der Gesundheit zum Leben noch dazu, damit wir von einem guten Leben sprechen können?

Was unterscheidet einen gesunden Menschen von einer gut geölten Maschine? Einen wachen Geist von einem schnellen Computer? Die selbstverantwortliche Lebensführung von der zwanghaften Selbstoptimierung? Den hilfreichen Ratschlag von der gängelnden Belehrung?  

Die meisten Ratgeber schweigen sich zu diesen Fragen aus. Sie drücken dem Leser eine Bedienungsanleitung fürs gute Leben in die Hand, so als stünde längst fest, was das überhaupt ist: ein gutes Leben.

Karen Plättner, Gesundheitsexpertin und Unternehmerin, und Abdullah Sinirlioglu, freier Autor und Doktor der Philosophie, gehen mit den „Anstiftungen zum guten Leben“ einen anderen Weg. Sie vermitteln dem Leser nicht nur ein praxisbezogenes Wissen über die Themen Ernährung, Bewegung, Erholung und Kognition, sondern setzen diese Themen auch in Beziehung zur philosophischen Reflexion. Das eröffnet Horizonte. Schärft das Bewusstsein. Lässt vermeintlich Altes in neuem Licht erscheinen und macht scheinbar Selbstverständliches wieder fragwürdig.

Der erste Teil des Buches handelt von der richtigen Ernährung. Die Autoren erinnern hier an die hippokratische Maxime: „Lasst Eure Nahrungsmittel Eure Heilmittel sein.“ Von Hippokrates bauen Plättner/ Sinirlioglu eine Brücke zum aktuellen Forschungsstand, der die Rolle der Ernährung bei der Prävention von Krankheiten unterstreicht. Durch solche Brückenschläge werden aktuelle „Ratgeber-Themen“ in einen größeren Kontext gestellt. Gleichzeitig rücken die „alten Philosophen“ näher an uns heran. Wussten Sie beispielsweise, dass schon die antiken Philosophen – von Pythagoras bis Platon – heftig über die Frage gestritten haben, ob es medizinisch sinnvoll und moralisch verantwortbar ist, das Fleisch von Tieren zu essen?

Im Bewegungsteil kommt der ganzheitliche Ansatz der Autoren dann besonders zur Geltung. Hier geht es nicht nur um Kraft- und Ausdauersport, sondern vor allem um das mannigfache Zusammenspiel unserer koordinativen und kognitiven Fähigkeiten. Dazu passt der Essay, den Felix Magath, einer der erfolgreichsten Sportler Deutschlands, zum Bewegungsteil beigesteuert hat. Vor dem Hintergrund der eigenen Biografie erklärt Felix Magath, worauf es bei der Ausbildung unserer koordinativen Fähigkeiten ankommt und welchen Stellenwert die körperliche Leistungsfähigkeit hat – nicht nur für den Leistungssportler, sondern für jeden von uns. 

Der dritte Teil des Buches fächert die verschiedenen Aspekte des Themas Erholung auf: vom Schlaf über die Arbeitspause bis hin zur Work-Life-Balance. Die Autoren riskieren einen spannenden Vergleich zwischen unserer Vorstellung von Work-Life-Balance und der antiken Idee der Muße.

Während es im heutigen Freizeitverständnis meist darum geht, dass wir uns von der Arbeit erholen (regenerieren, runterfahren), übersteigt die antike Idee der Muße den starren Gegensatz von Arbeit und Leben. Die Muße ist keine Work-Life, sondern eine ganzheitliche Life-Balance. Ihre Erkennungsmelodie ist die Zwanglosigkeit, die sich sowohl in der tiefsten Ruhe als auch in der höchsten Aktivität äußert. Im Zustand der Muße befinden sich sowohl ein Mensch, der still das Meer betrachtet, als auch einer, der mit Freude seiner Arbeit nachgeht. Beide haben ein Rendezvous mit der „Schwester der Freiheit“, wie Aristoteles die Muße genannt hat.

Den krönenden Abschluss des Buches bildet der Kognitionsteil. Plättner und Sinirlioglu nehmen den Leser auf eine kleine Reise durch die Welt von Gehirn und Geist mit. Der Leser erfährt, wie sich die wissenschaftlichen Erkenntnisse über die Funktionsweise des Gehirns im Alltag nutzbar machen lassen. Trotz dieses pragmatischen Funktionalismus sprechen sich die Autoren aber dagegen aus, den menschlichen Geist auf die biologische Informationsverarbeitung zu reduzieren.

Die Welt ist größer als das Fenster, das die exakten Wissenschaften zu ihr öffnen. Wer das vergisst, betreibt keine Wissenschaft mehr, sondern propagiert eine Weltanschauung. Das hat uns schon der große Skeptiker Sokrates mit seinem Lob des Nichtwissens zu verstehen gegeben. 

„Anstiftungen zum guten Leben“ ist ein anregendes Buch, das seinen komplexen Ansatz schnörkellos durchführt. Ein echtes Lesevergnügen. Auch dank des schönen Layouts, das den Inhalt mehr als nur einrahmt, sondern ergänzt und präzisiert. Man kann das Buch aufmerksam, Zeile für Zeile, von Anfang bis Ende lesen. Oder nach Lust und Laune darin blättern, bis man an einem der Sätze hängenbleibt, die zur genaueren Lektüre anstiften. Davon gibt es nämlich viele. Eine kleine Kostprobe gefällig? 

„Muße ist das, was wir nicht haben, aber wonach wir uns alle sehnen: Zeit ohne Zwang.“

„Ein kluger Mensch kann aus jedem Gespräch etwas lernen.“

„Was wir gut machen, das macht auch Freude, und was Freude macht, das machen wir gut.“

Wem diese kleine Kostprobe Appetit auf mehr gemacht hat, hier der Link: „Anstiftungen zum guten Leben

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