Wenn ich sage „deine Schuhe sind hässlich“, dann scheint es, als ob ich über dich spreche, während ich mich in der Tat doch über mich und meinem Geschmack auslasse. Wenn ich jedoch erkläre, was ich fühle, anstatt zu sagen, was „du bist“, dann ist das menschlicher und gewaltfreier.

Jeden Tag praktizieren wir Zuhören. Es ist nicht etwas, mit dem wir uns nur ab und zu auseinandersetzen. Zuhören ist doch ganz einfach, so glauben wir. Aber warum kommen unsere Worte so selten so an, wie wir uns das vorstellen? Wieso fühlen wir uns nicht verstanden, obgleich wir die gleiche Sprache sprechen? Was hindert andere daran, richtig zuzuhören und was hindert uns daran, richtig zuzuhören? Wie oft hast du schon gedacht oder gesagt: „Hör´ mir doch mal richtig zu!

Im Alltag benutzen wir Sprache und Kommunikation letztendlich überwiegend zum Transport von Inhalten und zur Vermittlung unseres Weltbildes.

Nun, unser Weltbild und unsere Glaubenssätze unterscheiden sich häufig von denen der anderen. Und häufig glauben wir, dass wir doch sowieso recht haben und unsere Wahrheit, die einzig richtige ist. Manche Denkblockade ist uns erst im Nachhinein aufgefallen.

Kenneth Keyes (ein Schüler von Alfred Korzybski, dem Vater der „Allgemeinen Semantik) plädierte schon 1954 in seinem Buch „How to develop your Thinking Ability“ für ein gesteigertes Bewusstsein des Ausdrucks innerhalb der menschlichen Kommunikation und entwickelte dafür Denkwerkzeuge. Die Keyes’schen Denkwerkzeuge sind Postulate, auf die man sein Denken fokussieren und sich damit Denkblockaden bewusst machen kann.

Nachfolgend in Kurzform seine sechs Denkwerkzeuge, die ich bei meinem Freund Chris Mulzer gefunden habe:

Keiner weiß etwas

Niemand weiß alles über jeden und jedes. Ein einzelner, kleiner, übersehener Fakt kann dazu führen, dass wir unser gesamtes Denkgebäude und unsere Werte überdenken und korrigieren müssen. Wie oft haben wir in den letzten Jahrzehnten unsere Vorstellung der Entstehung der Welt anpassen müssen? Es ist an der Zeit, das 1. Werkzeug einzusetzen und in Gedanken hinzuzufügen:

„Soweit ich weiß …“

Wenn wir unser Wissen auf einem bestimmten Gebiet präsentieren, hilft uns dieses Werkzeug, uns daran zu erinnern, dass jedes Wissen unvollständig ist. Dies hält somit unsere Wahrnehmungskanäle für neue Fakten offen. Darüber hinaus hat es den großen Vorteil, unser Gesicht zu wahren, wenn sich Informationen, auf deren Richtigkeit wir vertraut haben, sich als falsch oder überholt herausstellen.

In Grautönen oder besser in Farben denken

Nichts in dieser Welt (außer dem black hole, und das ist vielleicht, wie Hawkings dachte, dunkelgrau?) ist pures Schwarz oder reines Weiß. Die wenigsten Dinge sind 0 Prozent oder 100 Prozent. Unser Entweder-Oder-Denken kann uns ganz schön in die Irre führen, vor allem, wenn es darum geht, für das Erreichen von Zielen und Ergebnissen in Handlungsoptionen zu denken. Immer dann, wenn wir uns ganz sicher sind, wir hätten nur eine „entweder“ – „oder“ – Wahl, können wir in Gedanken hinzufügen:

„… bis zu einem gewissen Grad.“

Dieses Werkzeug soll uns an die bestehende Vielfältigkeit von Dingen und Entscheidungsoptionen erinnern. Es soll unser Interesse wecken und uns wachhalten, unsere „Landschaft“ zu erforschen und herauszufinden, bis zu welchem Grad die jeweiligen „Dinge“, die wir betrachten (Entscheidungen, Handlungsoptionen, Ziele, Herausforderungen…) immer noch jene Charakteristika beibehalten, an denen wir eigentlich interessiert sind.

Wer redet denn hier …?

Den Ausschnitt der Welt, den wir wahrnehmen, beschreiben wir in unserer Sprache. Er enthält alle Aspekte unserer Familiengeschichte, unserer Erziehung, unserer Erlebnisse, unserer Erfahrungen. Er ist damit genauso individuell, wie wir selbst. Wer aber garantiert uns, dass das Rot des Mohns von anderen Menschen genauso wahrgenommen wird wie von uns. Wer kann mit Sicherheit sagen, dass das Glas, das vor mir steht, das gleiche Glas ist, das mein Nachbar wahrnimmt? In meiner Sprache tue ich jedenfalls so. Ich sage: „Das IST ein Glas, das IST roter Mohn“. Es lohnt sich, diesen Umstand ganz bewusst in seinem Sprachgebrauch aufzunehmen und zu relativieren:

„In meiner Welt… „oder“ Für mich…“

Dieses Werkzeug soll uns daran erinnern, dass niemand die Welt aus allen möglichen Perspektiven wahrnehmen kann. Es erinnert mich daran, wenn ich ein Urteil fälle, dass dieses Urteil auf der Basis MEINES Geschmacksempfindens, MEINER Werte und MEINER Erziehung von MIR gefällt wird.

Unterschiede, die einen Unterschied machen

Keine zwei Gegenstände in dieser Welt sind genau gleich. Genau dies täusche ich jedoch vor, indem ich mehrere Gegenstände zu Gruppen zusammenfasse und mit Namen bezeichne (die XY). Genau diesen Fehler begehe ich ebenfalls, wenn ich Urteile, die auf einen Teil der Gruppierung (ein „böser“ XY) zutreffen mag, mit einem Attribut verallgemeinere (die „bösen“ XYloner). Achten wir deshalb genau auf den Gebrauch von Gruppierungsattributen und fragen uns:

„Worauf beziehe ich mich …?“

Dieses Werkzeug soll uns daran erinnern, dass „ein Mensch“ nicht „alle Menschen“ ist, dass „ein Ding“ nicht „alle Dinge“ ist, dass “ein Verhalten“ nicht „alle Verhalten“ sind. Indexnummern (1., 2., 3., A., usw.) und Gruppennamen (die Männer, die Chinesen, die Japaner) verleiten uns dazu, Urteile zu verallgemeinern. Es hilft uns, uns daran zu erinnern, dass Unterschiede häufig eben doch einen Unterschied machen.

Immer auf dem neuesten Stand sein

Wenn man nach vielen Jahren einen alten Freund wieder trifft, fällt einem bestimmt auf, dass er mich nach bestimmten Kriterien beurteilt, die für mich eventuell bereits überholt sind. Er mag positive oder negative Eigenschaften in mir wahrgenommen haben, die ich bereits erfolgreich hinter mir gelassen habe (oder verlernt habe). Sein Bild meiner Persönlichkeit ist „nicht mehr zeitgemäß“. Jeder Mensch und jedes Ding sind im Verlaufe der Zeit Veränderungen unterworfen. Auch ich selbst. Die Fakten von gestern können sehr leicht die Märchen von heute sein. Es ist also sinnvoll, den Zeitaspekt in unsere Entscheidungen und in unser Denken miteinzubeziehen. Wir können fragen:

„Auf welchen Zeitpunkt beziehen sich meine Informationen?“

Dieses Werkzeug soll uns daran erinnern, dass sich unsere Informationen auf den Zeitpunkt beziehen, in der wir unsere „Landschaft“ erforscht haben. Die Annahme, dass sich diese Landschaft im Verlaufe der Zeit nicht verändert haben könnte, ist irrig. Das können wir schnell herausfinden: sehen wir uns einfach einen Film erneut an, der uns vor zehn Jahren gefallen hat oder lesen ein Buch, das wir vor zwanzig Jahren spannend verschlungen haben oder denken an den Partner, den wir vor dreißig Jahren geliebt haben (das Letztere nicht für alle Leser anwendbar). Hat mein Urteil von damals heute noch Gültigkeit?

Die richtige Stelle markieren

Eine Person oder ein Ding kann in unterschiedlicher Umgebung (mit seinem Verhalten) sehr unterschiedlich reagieren. Ebenso könnte die Interpretation dieses Verhaltens unterschiedlich sein. Ein Kopfstand in der Yogastunde kann den Beifall aller Anwesenden auslösen. Ein Kopfstand in der Fußgängerzone wird gemischte Reaktionen hervorbringen. Ein Kopfstand während einer Hochzeitszeremonie wird vielleicht nur Kopfschütteln und Unverständnis hervorrufen. Diese Erkenntnis hat mehrere, nützliche Interpretationen. Es gibt kein falsches Verhalten, nur einen falschen Kontext. Oder: Jedes einmal gelernte Verhalten kann sich als nützlich erweisen, wenn der Kontext dazu passt. Diesem Umstand kann ich Rechnung tragen, indem ich folgenden Aspekt berücksichtigte:

„Was ist der Kontext …?“

Dieses Werkzeug soll mich daran erinnern, dass nichts auf dieser Welt in Isolation existiert. In welcher Umgebung die Ereignisse, das Verhalten oder die Prozesse geschehen, ist entscheidend für ihre Einordnung. Es soll mich ebenfalls daran erinnern, dass sich das Verhalten von Personen und Dingen verändern kann, wenn sich die Umgebung ändert.

Soweit die Vorstellung der „Denkstrukturen“ von Keyes. Ich brauche bestimmt keine Strategien zu beschreiben, wie man diese Informationen ins Leben integrieren kann. Aber es könnte sein, dass diese Werkzeuge die Struktur des Denkens entwirren und im Verlaufe der Zeit mehr Klarheit schaffen. Könnte man ja ausprobieren.

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