«Du hast zu wenig und zu niedrige Erwartungen», sagte meine Freundin neulich zu mir. Ich, niedrige Erwartungen? Ja, das stimmt. Ich habe alle Erwartungen schon vor zig Jahren ins Museum geliefert. Damit habe ich die Ursache für Stress, Ärger, schlechte Laune und Enttäuschungen abgelegt.

Die meisten Erwartungen sind einseitige Gefühlsregungen. Wir erwarten etwas von anderen und dies führt nur zu einem von zwei möglichen Ergebnissen:

  1. Kein Grund zur Freude, wenn die Erwartung erfüllt wird, denn das haben wir ja erwartet.
  2. Unerfüllte Erwartungen machen uns unzufrieden und enttäuschen uns.

Erwartungen sind eine Imagination in der Zukunft und zum Scheitern verurteilt. Sie sind Hypothesen.

Mit einer solchen Hypothese kreieren wir uns eine Welt, wie wir sie gerne hätten. Die Welt ist jedoch, wie sie ist und richtet sich nicht nach unseren Erwartungen. Die Enttäuschungen sind demnach vorprogrammiert.

In der Erwartung machen wir uns die Welt ein Stück sicherer. Wir beruhigen unsere Unsicherheit und Ängste was die Zukunft anbelangt.

Erwartungen sind Zeitreisen in die Zukunft, machen bei näherer Betrachtung keinen Sinn und sie engen uns ein.

In einem Leben ohne Erwartungen akzeptierst du die Wirklichkeit, wie sie ist. Du akzeptierst die Menschen wie sie sind – und nicht wie sie in deiner Vorstellung  sein sollten. Du siehst die Dinge, wie sie sind.

Kannst du im Kleinen trainieren:

  • Wenn du etwas Gutes tust, erwarte kein Lob oder Anerkennung.
  • Erwarte keine staufreien Strassen oder Pünktlichkeit bei Bahn oder wenn du mit dem Flugzeug reist.
  • Erwarte beim Einkaufen nicht, dass es an der Kasse schnell geht.
  • Wenn du nach Hause kommst, erwarte nicht, dass dein Partner freundlich, ausgeruht und zuvorkommend ist.

Lass deine Erwartungen fallen und lass dich stattdessen lieber überraschen. Nicht alle Erwartungen sind per se «schlecht», aber es gibt eine bessere Alternative, gerade im Zwischenmenschlichen:

Vereinbarungen treffen

Mit einer Vereinbarung gewinnen wir die Verantwortung für unser Leben und unseren Geist zurück.

Vereinbarungen sind ein gegenseitiges Übereinkommen zwischen den Parteien.

Vereinbarungen funktionieren, weil sie mit Respekt und nicht mit Zwang geschaffene Versprechen sind.

Falls notwendig, können Abweichungen vom «was, wenn, wo und wie» gemeinsam erörtert und entschieden werden.

Vereinbarungen einhalten

Eine Vereinbarung einzuhalten gelingt manchen Menschen in der Theorie besser als in der Praxis. Wie oft hast du gehört, ich rufe dich morgen an und nichts ist passiert. Wie häufig wurden Termine kurzfristig abgesagt, ohne dass wirklich ein Notfall vorlag? Selbst Pünktlichkeit ist eine Vereinbarung. Natürlich gibt es Phänomene und Kontexte, die zum Brechen von Vereinbarungen führen. Aber wie häufig passiert das?

Der Unterschied zwischen Theorie und Praxis ist in der Praxis grösser als in der Theorie.

Gunther Schmidt

Vereinbarungen sind ein Versprechen. Vereinbarungen einzuhalten sind eine Frage unserer Integrität. Frances Hesselbein (105 Jahre alt) und von Peter Drucker als die weltbeste Führungskraft bezeichnet, wurde mir von Marshall Goldsmith in seinem Buch «Triggers» vorgestellt:

«Vor ein paar Jahren erhielt Frances eine Einladung ins Weisse Haus. Der Termin im Weißen Haus kollidierte mit ihrer Verpflichtung, vor einer kleinen gemeinnützigen Gruppe in Denver zu sprechen. Für die meisten Menschen wäre das kein Rätsel: Ein Treffen mit dem Präsidenten der Vereinigten Staaten oder eine unbezahlte Rede in Denver? Wir rufen die Leute in Denver an, erklären die Situation, bieten an, den Termin zu verschieben oder versprechen, im nächsten Jahr wiederzukommen. Schliesslich ist es ja pro bono. Wir tun den Leuten in Denver ja einen Gefallen. Sie werden es verstehen. Frances ging den anderen Weg. Sie sagte dem Weissen Haus, dass sie nicht teilnehmen würde. «Ich habe eine Verpflichtung», sagte sie. «Sie erwarten mich.» (Der eigentliche Knackpunkt für Marshall Goldsmith, also die Kirsche auf dem Eisbecher der Integrität: Frances hat der Gruppe in Denver nie von der Einladung ins Weisse Haus erzählt.) Die meisten von uns glauben, dass wir unsere Vereinbarungen doch mit der gleich hohen Integrität so einhalten würden.»

Goldsmith, Marshall; Reiter, Mark. Triggers: Sparking positive change and making it last (p. 208).

Vereinbarungen mit dir selbst …

… führen zu mehr Selbstvertrauen. Selbstvertrauen = sich selbst zu trauen. Und wie entsteht Vertrauen? Nur dadurch, dass ich die Erfahrung mache, dass ich vertrauen kann. Springt mir ein Interview mit Jens Corssen in den Sinn:

Er erzählt in diesem Interview die Geschichte einer Frau, mit der er am Thema Selbstvertrauen gearbeitet hat. Sie kam zu ihm, weil sie zwar fachlich souverän agierte, jedoch der Ansicht war, es mangele ihr an Selbstvertrauen. Jens Corssen schlug ihr deswegen vor, die folgende Übung zu machen: 14 Tage lang konsequent etwas täglich tun, was sie ohnehin schon ziemlich regelmäßig tut.

Das klingt banal, doch wie oft nehmen wir uns etwas vor und machen es dann doch nicht oder machen es seltener oder kürzer, als wir es uns vorgenommen hatten? Die Frau überlegte, was sie ohnedies schon regelmäßig tut und kam darauf, dass sie fast täglich Joghurt isst. Also fixierte sie eine schriftliche Vereinbarung mit sich selbst: Ich, Eva, esse 14 Tage lang jeden Tag vor 8 Uhr abends ein Joghurt. Als ginge es um mein Leben.

Der tägliche Joghurt

Ihr erschien diese Übung auch banal: täglich vor 20 Uhr Joghurt essen. Was soll das bringen? Doch sie ließ sich darauf ein. Einmal sah sie auf die Uhr und es war bereits 19.59. Schnell flitzte sie zum Kühlschrank und schob sich wenige Sekunden vor der Deadline den ersten Löffel Joghurt rein. Und am 12. Tag passierte es dann. Sie war bereits im Schlafanzug und wollte sich nur noch einen Schluck Wasser aus dem Kühlschrank holen. Dann, oh Schreck sah sie es: kein Joghurt im Kühlschrank.

Nun überlegte sie kurz und sagte sich: «Naja, es ist ja nur ein Tag, wo ich mich nicht an mein Commitment halte.»

Und genau das ist es, was wir meistens im Leben auch machen. Es ist ja nur diese Kleinigkeit, die wir ja auch morgen (Aufschieberitis) nachholen oder einfach weglassen können. Aber es sind IMMER die Kleinigkeiten, die ALLES bedeuten.

Eva überlegte kurz, sah auf ihren Vertrag und rief sich dann ein Taxi, das sie zum Bahnhof fuhr. Dort gab es einen Laden, wo sie jetzt noch einen Joghurt bekam. Es war ihr teuerster Joghurt aller Zeiten. Aber der Preis war gegen das, was sie dafür bekam, völlig klein und unwichtig. Denn Sie hatte sich bewiesen, dass sie sich nicht nur auf sich selbst verlassen konnte, sondern, dass sie auch zu ihrem Wort stand. Das gab ihr enormes Selbstvertrauen.

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