Platon sagt, dass körperliche Lust nur in Kombination mit Schmerz auftritt. Diese Konzeption, der zufolge die (sinnliche) Lust mit dem Schmerz, dessen Schwinden sie sein soll, zeitlich zusammenfällt, tritt an die Stelle eines historisch älteren Weltmodells, welches dem spontanen Selbstempfinden zweifellos näher liegt. Nämlich der Vorstellung, dass Lust und Schmerz einander periodisch abwechseln.[1]

Vor der Lust des Schlafens ist der Schmerz der Müdigkeit. Vor dem Genuss des Abendessens findet sich der Schmerz des Hungers.

Jeder Mensch fühlt sich tausendfach in seinem Leben «getroffen», «aufgebracht» oder «erschüttert». Nahezu täglich ist der eine oder andere mal wütend, mal beleidigt oder erschrocken. Doch sind wir es auch gewohnt, dass der «Ärger verfliegt», die «Wut verraucht» oder dass wir über den «Schreck hinwegkommen». Die subjektiv als unangenehm erlebten Emotionen gelten als verarbeitet, wenn der Körper sich bei der Erinnerung an das auslösende Ereignis wieder ausgeglichen fühlt.

In über 95 Prozent aller Fälle bauen wir in unserem Leben Stress, Angst und Aufregung durch unsere mentalen Eigenkräfte ab. Von allein pendeln wir uns wieder auf unser seelisches Gleichgewicht ein, beziehungsweise kommen über «die Sache hinweg». Wir vergessen das Ereignis zwar nicht, erleben aber ganz deutlich, dass das Erlebnis der Vergangenheit angehört. Es ist, als sei in unserer «Seelenlandschaft» jemand über eine feuchte Grasfläche gelaufen. Eine Zeit lang sieht man die Spur, dann richten sich die Halme wieder auf. Die Fläche wird wieder einheitlich und geglättet – als hätte es die Abdrücke nie gegeben. Und manches tragen wir trotzdem, zum Teil unbewusst, über lange Zeit mit uns herum.

Als Freund und Fan der Stoiker glaube ich, dass uns bei den verbleibenden 5 Prozent vielleicht Epiktet (um 50 – 138 n. Chr.) helfen kann. Neu ist also das Dilemma nicht, dass wir uns ab und zu selbst im Wege stehen.

Laut Epiktet sollte unser Schwerpunkt auf dem moralischen Fortschritt liegen – die ständige Verfeinerung unseres Verhaltens und unseres persönlichen Charakters. Wir sollten lernen, unsere Wünsche zu beherrschen, unsere Pflichten zu erfüllen und klar über uns selbst zu denken (besonders in Bezug auf andere).

Er lehrte, und hat bekanntere Stoiker wie Marcus Aurelius und Seneca beeinflusst, dass manche Dinge innerhalb und manche ausserhalb unserer Kontrolle liegen. Wir können uns unsere Umstände nicht immer aussuchen, aber wir können entscheiden, wie wir darauf reagieren.

Viktor Frankl, der Holocaust-Überlebende, hat in seinem Buch «Man’s Search for Meaning» 1946 Epiktets Ansicht über unsere Macht, zu entscheiden, wie wir auf unsere Umstände reagieren sollen, widergespiegelt:

Wenn wir nicht mehr in der Lage sind, eine Situation zu ändern,
sind wir gefordert, uns selbst zu ändern.

Seit ein paar Jahren gibt es Viktor Frankls sehr empfehlenswerte Buch auch auf Deutsch: «…trotzdem Ja zum Leben sagen: Ein Psychologe erlebt das Konzentrationslager». Mir persönlich beschreibt der englische Titel den Inhalt des Buches besser.

Andere grosse Schriftsteller haben ebenso über dieses Thema reflektiert. Denke an Shakespeares Hamlet: 2. Akt, 2. Szene:

Es gibt nichts Gutes oder Schlechtes, aber das Denken macht es so.

Oder der Dichter John Milton:

Der Verstand ist sein eigener Ort und kann aus sich selbst einen Himmel aus der Hölle,
und eine Hölle zum Himmel machen.

Weitere Schattierungen der stoischen Philosophie kommen in den Sinn, in der letzten Strophe des Invictus des englischen Dichters William Ernest Henley:

Egal, wie schmal das Tor, wie gross,
wieviel Bestrafung ich auch zähl.
Ich bin der Meister meines Los’.
Ich bin der Käpt’n meiner Seel.

Fortsetzung und zweiter Teil: Was ist der Sinn des Lebens?

[1] Gerhard J. Brady, Metaphorik der Erfüllung

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