„Im Prinzip ja, aber ist schlecht für die Coaching-Industrie.“, würde Radio Eriwan antworten. Die Geschichte, in der sich Carl Friedrich von Münchhausen am eigenen Schopf aus dem Sumpf gezogen haben will, lebt dagegen im Begriff „Münchhausen-Methode“ fort. Nach dieser Methode befreit man sich, ohne die im Grunde erforderliche Hilfe von aussen, durch eigene Kraft aus seiner Notlage (engl. Bootstrapping); im Bergsport als Selbst-Rettungstechnik bekannt, indem man sich mittels diverser Seiltechniken aus einer Gletscherspalte befreit. Man kann sich also selbst helfen und sich befreien und das gleiche gilt fürs Coaching – im Prinzip.

Die Antwort auf die Frage des Selbstcoachings hängt auch davon ab, was man unter Coaching versteht; fragt man zehn Coaches, gibt’s leicht elf verschiedene Antworten. Einigen wir uns im Moment auf die Meta-Definition: Coaching führt zu Veränderung. Geht es beim Coaching darum, im Leben – privat oder beruflich – weiterzukommen, dann stehen viele Lebenshilfe-Ressourcen zur Verfügung. Zum Beispiel, sich selbst Ziele setzen, entsprechende Bücher lesen, seine PSS (Persönliche Strategie-Sitzung) abhalten, neue Perspektiven untersuchen und andere Sichtweisen dazu nutzen, um an seinen Herausforderungen zu arbeiten und sich damit weiterzuentwickeln. Dabei ist man zwar beim Selbst-Coaching so einsam wie der Torhüter beim Elfmeter, aber das kann trotzdem zu den gewünschten Ergebnissen führen und hängt vor allem von der Umsetzungsfähigkeit ab. Selbst Achilles war nur so stark wie seine Sehne. Der Teufel versteckt sich mehr als gern im Detail, wie erkennbar in der sich wiederholenden Litanei der Neujahresvorsätze.

Oprah und andere Celebrities, CEOs und Sportler engagieren Coaches, um ihr wahres Potenzial zu leben, bessere Entscheidungen zu treffen, um neue Höhen in Bereichen wie Karriere, Finanzen, Beziehungen und Gesundheit zu erreichen – mit der Hilfe und Unterstützung des Coaches. Viele Menschen würden zum Beispiel gerne mit einem persönlichen Fitness-Trainer arbeiten, aber haben kein Budget dafür und nehmen das Fitnessprogramm deshalb in die eigene Hand. Zeigt dies nicht, dass das auch beim Coaching möglich sein müsste? Selbst-Coaching ist meiner Meinung nach, mit entsprechenden Techniken, Hilfsmitteln, Disziplin und Hingabe möglich. Ist es doch beim 1:1 Coaching, welches typischerweise zwischen sechs Monate und einem Jahr dauert, so, dass ein Coach neben den offensichtlichen kundenorientierten Zielen auch das Sekundär-Ziel hat, seinem Klienten eben dieses Selbst-Coaching en passant zu vermitteln.

Coaching, egal in welcher Form hat immer ein Ziel: Veränderung ist erwünscht. Wer Coaching sucht oder in Betracht zieht, ist mit dem Status quo per se nicht zufrieden. Manchmal ist es auch, dass man einfach spürt, etwas ist nicht so, wie es sein sollte oder sein könnte. Unabhängig, worum es im Spezifischen geht, die good News ist: Coaching hilft. In der Tat, die Industrie wächst, denn Klienten sind heute eher bereit zu erkennen, dass auch in der Arbeit mit sich selbst eine Unterstützung hilft. Einer meiner Kunden hat es letzthin passend in seiner Referenz formuliert: „Rückblickend hat unser/mein Weg etwas Magisches an sich. Wir reden uns die Köpfe heiss und die Energie fliesst wieder“. Mich persönlich begeistern die Ergebnisse, die beim Coaching erzielt werden, jedes Mal aufs Neue.

Über das Self-Coaching hinaus unterstützt ein Coach in den Bereichen, die alleine schwer zu erreichen sind und mit einem Coach geht es wesentlich schneller und tiefer. Er hilft dort, wo es für einen selbst schwierig werden kann:

– Er unterstützt, um mehr Klarheit beim Denken, Reflektieren und beim Spreu-vom-Weizen-Trennen zu erreichen.

– Er ist ein Experte im Zuhören und erkennt damit besser die wesentlichen und oft unangenehmen Fragen, die es zu stellen gilt.

– Er fordert den Klienten auf, die Verantwortung zu übernehmen und unterstützt ihn in der Umsetzung.

– Er stellt Fragen in den Raum die herausfordern, Fragen die andere Blickwinkel beleuchten und Impulse geben.

Er unterstützt durch Neutralität, bewertet nicht, hat keine Meinung und hat nur eine Agenda, nämlich dem Klienten zu dienen. Dafür erhält er sein Honorar. Der letzte Punkt, die Agenda, ist ein Kardinalpunkt. Selbst für gute Freunde oder sehr gute Beziehungspartner ist es oft schwierig, ihre bewusste und auch oft unbewusste Agenda aussen vor zu lassen. Als Freund den anderen ins Eingemachte zu begleiten, ist heikel, ausser man ist Sadist – und meiner Meinung nach unmöglich. Beim Selbst-Coachen, das liegt in unserer Natur, folgt man seiner Agenda oft unbewusst, denn die Person, die man am leichtesten in die Irre führt mit seinem Denken, wenn alleine auf sich gestellt, ist man selbst.

Fast alle meine Kunden werden zu Freunden, aber während den Coaching-Sessions sind wir keine Freunde, da gilt nur die Regel als Mantra, wie unterstütze ich meinen Klienten am besten, losgelöst von irgendeiner sonstigen Agenda, insbesondere losgelöst von meinem Ego? Eben nicht erklären, Ratschlag geben, was wir doch so gerne tun: Bei deiner Erkältung, da musst du Kamillentee mit Rum trinken, das hilft immer. Nachfolgend ein paar Gedanken zum Selbst-Coaching und wie es angegangen werden kann, während man für sich seine Bedienungsanleitung selbst finden will.

Sich selbst coachen

Wie weiss man, dass es Zeit ist, sich seinen Coaching-Hut aufzusetzen? Primäre Gründe sind immer der Wunsch nach Veränderung. Entweder man befindet sich inmitten einer Veränderung und ist verunsichert, was als nächstes ansteht oder man will Veränderung und weiss nicht, wie und wo anzufangen. Die Symptome sind vielfältig, man fühlt sich ängstlich, unerfüllt für einen Teilbereich in seinem Leben. Im Hintergrund ein Gefühl, latente Unzufriedenheit, die Antwort suchend auf die Frage: was als nächstes? Die Zeichen, wie wir uns selbst Hinweise geben, dass es Zeit für Veränderung ist, sind für die einen subtil, während für andere etwas in ihrem Umfeld passiert und sie darin einen Wake-up Call erkennen.

Den Bereich der Veränderung definieren

Wenn erkannt, dass es an der Zeit für Coaching ist, gilt es, den Teilbereich für den Fokus der Arbeit mit sich selbst zu definieren. Wir sind gewöhnt, wenn wir Hunger haben, dann essen wir etwas und das Problem ist gelöst. Bei der Arbeit mit sich selbst ist dies anders. Hier gelten die Regeln, kleine Schritte und einer nach dem anderen. Manche der Lösungen der für sich definierten Mängel brauchen Zeit, um sich zu manifestieren und sind weder mit der blauen noch der roten Pille über Nacht zu lösen. Es geht nicht um die Veränderung der Persönlichkeit, ganz im Gegenteil, es geht um den Mut und die manchmal anfängliche Frustration, sich selbst zu finden, um dann die Zügel voll in die Hand zu nehmen. Das hat uns niemand in der Schule oder Universität beigebracht. Das „ich sollte“, „ich müsste“ zu „ich werde“ bedingt kleine Schritte zu definieren, damit Erfolgserlebnisse weiterhin motivieren, um an der Veränderung festzuhalten. Will man mehr Joggen, hilft das Ziel, morgen den Marathon zu laufen, nicht. Jede Veränderung ist ein Prozess und wie das Laufen lernen als Kind, ist dieser immer mit Rückschlägen verbunden und funktioniert nicht über Nacht. Unser Hirn braucht Zeit, um die notwendigen Synapsen (Neuroplastizität) zu bilden und zu trainieren.

Erreichbare Etappen festlegen

David Rock (Bestseller: Your Brain at Work) sagt und hat wissenschaftlich herausgefunden, Ziele werden einfacher erreicht wenn sie einfach und klar formuliert sind: „Ein Ziel, das mit drei bis sieben Worten beschrieben werden kann, ist fantastisch. An was man sich erinnern kann, hilft, sich zu verändern, wenn man sich nicht erinnert, kann es sich auch nicht in den grauen Zellen manifestieren.“ Weiterhin gibt es Ziele, auf die man sich zubewegt und Ziele, die ein Vermeiden beinhalten. Aufgrund der Art, wie unser Hirn arbeitet, bevorzugen wir positiv versus negativ. „Einfach“ sagen Sie? Ein Beispiel: Ist das Ziel, gelassener und ruhiger zu werden, dann beschäftigt sich und beobachtet das Gehirn die Ruhe um einen herum. Ist das Ziel, ich will weniger Stress (Vermeidung), dann beschäftigt und beobachtet unser Hirn den Stress um uns herum. Die Wissenschaft lehrt, Vermeidungs-Ziele benötigen die doppelte Zeit und werden wesentlich seltener erreicht. Deshalb nicht, „ich muss weniger essen“ sondern lieber „ich werde schlanker werden und mich besser fühlen.“ Es versteht sich, nicht nur beim Selbst-Coachen (fast alle meine Kunden führen ein Journal) ist ein Notizbuch eines der Werkzeuge. Eine tägliche Frageroutine, um was geht es für mich heute? was kann ich für mein Ziel unternehmen? zeigt am Ende der Woche den Fortschritt, den man erreicht hat. Es gibt nichts Gutes, ausser man tut es.

Unterstützung suchen und es sich leichter machen

Auch ohne Coach kann man es sich leichter machen und Unterstützung suchen. AA funktioniert auf diesem Prinzip. Das soziale Umfeld, zumindest bis zum einem bestimmten Grad, am eigenen Fortschritt teilhaben lassen. Wenn man allen Freunden erzählt hat, dass es nun keine Schwarzwälder Kirschtorte mehr unter der Woche gibt, sondern einen Apfel, dann wird es schon schwieriger, die Kuchengabel auszupacken und sich dem Genuss mit Freude hinzugeben. Mitstreiter beim Joggen erleichtern das Joggen, selbst bei Nieselregen.

Die Macht der Routine

Routine hilft und ich bin ein Freund von selbstauferlegten Regeln. Als Beispiel bietet sich MIT (Most Important Task) an. Sie dürfen jetzt gleich schmunzeln. Leicht führte mein Sohn mir +25 Liegestützen vor und ich brachte es gerade auf eine. Heute absolviere zwischen 40 und 50 jeden Tag. Angefangen habe ich in der ersten Woche mit je einer Liegestütze nach jedem Pinkeln, zweite Woche zwei etc. Zur Zeit sind es je zehn danach, klar, nicht in der Hoteltoilette oder wenn Gäste bei uns sind. Mache ich nur bei Tageslicht , ergo im Sommer werden es dann mehr pro Tag sein.

Rückschlage akzeptieren

Der wesentliche Unterschied zwischen einem Amateur und Profi: Der Profi weiss, der Weg zum Erfolg ist nicht gradlinig, sondern pausiert auf bestimmten Niveaus und sonst ist es wie an der Börse, mit Rückschlägen ist zu rechnen, ohne Rückschläge geht gar nichts. Wie beim Golf: der Ball landet im Sand. Ärgert man sich, hat das Einfluss auf den nächsten Schlag, erinnert man sich, dass selbst Weltklassegolfer im Bunker landen und nimmt man sich vor, dass der nächste Schlag der beste des Lebens sein wird – nun, der Unterschied ist klar. Häufen sich die Rückschläge, dann ist es an der Zeit, die Umstände genauer zu untersuchen. Oft spielt das Umfeld eine Rolle und mag Änderung bedingen. Bei zwölf Stunden am Tag am Schreibtisch und obwohl regelmässig die Bleistifte gespitzt werden, ist das mit der körperlichen Fitness nicht ganz so einfach, zumindest wenn man nicht als Single lebt.

Häufige Saboteure

Fehler zu machen bedeutet Fortschritt, zumindest in meiner Welt. Ohne je Fehler erlebt haben zu dürfen, wären Sie nicht da, wo Sie heute sind. Misserfolg bedeutet, es gibt zwei Lektionen zu lernen: Erstens, es gab mindestens einen Grund für den Misserfolg und zweitens, wie kann der Misserfolg als Grundlage dienen, um nicht erneut in das gleiche Loch zu fallen. Hier die häufigsten Verdächtigen:

1. Aufgeben

Es ist selten Wissen, wenn wir versagen. Nicht vergessen, Ausdauer schlägt den Sprint, Ausdauer wenn nötig und Nein dazu, was nicht notwendig ist. Im Loch sitzen und weitergraben macht das Loch nur tiefer und nährt das Opferdenken. Manche Situationen werden später Wunder genannt, wenn man gelernt hat, die Löcher zu vermeiden.

2. Nichts funktioniert ohne Überzeugung

Fahren Sie in der Mitte der Strasse? Möglich, aber nicht sinnvoll. Überleben in der Mitte ist mehr als schwierig und die Hoffnung, dass es diesmal klappt, bringt uns wahrscheinlich kaum näher an das Ziel. Ist etwas wert, getan zu werden, dann ist es wert, alles einzusetzen. Das bedingt Mut und Selbstvertrauen. Es geht darum, zu entscheiden, was für einen selbst wichtig ist. Es ist selten ok, einen Kompromiss mit sich selbst zu schliessen, oder?

3.Rechtfertigung und Rationalisierung

Sieger mögen analysieren, aber rationalisieren nie. Verlierer haben einen Fundus von Entschuldigungen parat – und paralysieren sich dadurch. Die meisten grossen Ziele werden nicht im ersten Anlauf erreicht. Aus der Erfahrung lernen, anpassen und erneut vorwärts gehen.

4. Fehler akzeptieren

Manche leben und lernen, andere leben nur. Misserfolg ist Fortschritt, wenn wir reflektieren und über unsere Fehler nachdenken. Das Problem vielleicht neu definieren, die Situation analysieren, warum hat die letzte Strategie nicht funktioniert? Sehe ich wirklich die ursächliche Herausforderung – oder kämpfe ich gegen Windmühlen?

5. Nichts geht ohne Disziplin

Selbst für den Lottogewinn muss man die Disziplin haben, das Ticket zu kaufen. Statistisch nicht aussichtsreich, aber alles, was gut ist und wird, bedingt –  so meine Erfahrung –  Aufwand. Eine der interessantesten Fragen ist: Was bin ich bereit, an Schmerz zu ertragen, um von A nach B zu kommen? Dies ist deutlich einfacher, wenn die aktuelle Herausforderung ein Teil des grossen Ganzen ist. Ohne Tun und Aufwand und Ziel und Überzeugung lebt man zwar, ist aber schon frühzeitig gestorben. Es gibt halt nichts Gutes, ausser man tut es.

6. Selbstbewusstsein und Selbstwertgefühl

Zwei der am meisten missverstandenen Begriffe. Demnächst als Thema hier in diesem Theater. Für mich in meiner Welt bauen die Architekten für eingeschränktes Selbstbewusstsein oder niedriges Selbstwertgefühl auf ein Fundament, das sich aus fehlendem Selbstrespekt und Selbstverständnis zusammensetzt. Schwaches Selbstbewusstsein und Selbstwertgefühl, so glaube ich, finden häufiger jene Menschen, die sich permanent selbst suchen als jene, die bereit sind, das Risiko einzugehen, die Person zu kreieren, die sie sein wollen.

7. Den Kopf in den Sand stecken

Fatalismus reduziert die Fähigkeit, Verantwortung für sich selbst und sein Verhalten zu übernehmen. Erfolg mag zwar mit Glück zu tun haben, aber wie hat schon Jack Nicklaus auf die Frage, ob dies ein Glücks-Shot sei, geantwortet: „Ich weiss nicht, aber was ich weiss, ist, je häufiger ich es probiere, umso häufiger habe ich Glück.“ Es sind nicht die Umstände, nicht die Anderen, sondern nur eine(r) der/die die Verantwortung für uns trägt: Wir selbst.

Ich beantworte die Frage, „Kann man sich selbst coachen?“ klar mit einem Ja. Lieber ist mir, Sie engagieren mich. Selbst-Coaching ist auf jeden Fall besser, als wie eine Marionette durch das Leben zu gleiten. Sich für sich selbst, ein paar Stunden aus den insgesamt 168 die pro Woche zur Verfügung stehen, reservieren, um sich selbst zu coachen, kann nur zu einer besseren Lebensqualität führen – in meiner Welt.

Wenn man es sich leisten will, kann man sich überlegen, wofür man sein Geld sonst ausgibt und sogar einen Coach engagieren und die Magie des Coachens erleben – denn mit Coach geht es schneller, spart Ressourcen, Frustration und anderem Geld. Wann hast du das letzte Mal für dich und deine Weiterentwicklung in die Tasche gegriffen?

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