Dies ist die Fortsetzung des Artikels „Lebensrezept 1“, indem es um die Stoiker ging. Hier ist er zu finden, falls du ihn verpasst hast. Heute ein paar Gedanken zum Buddhismus, von dem ich ganz, ganz wenig verstehe. Und es sind meine Gedanken und Interpretationen zum Buddhismus, die für mich Sinn machen. (Lieber D.L. sei bitte gnädig mit mir … danke.)

Die Stoiker vertraten die Ansicht, dass wir uns, da Emotionen durch äußere Ereignisse ausgelöst werden und äußere Ereignisse sich (überwiegend) unserer Kontrolle entziehen, so weit wie möglich von diesen Ereignissen abkoppeln sollten, um rational zu bleiben. Seneca schrieb über diesen Prozess Folgendes:

Der Schmerz ist gering, wenn die Meinung ihm nichts hinzugefügt hat; […], wenn du ihn für gering hältst, wirst du ihn gering machen. Alles hängt von der Meinung ab; Ehrgeiz, Luxus, Gier, alles hängt von der Meinung ab. Es ist die Meinung, unter der wir leiden …. So lasst uns auch den Weg zum Sieg in all unseren Kämpfen gewinnen – denn der Lohn ist Tugend, Standhaftigkeit der Seele und ein Friede, der für alle Zeiten gewonnen ist.

Das ist aber nicht so einfach in der Praxis. Oder wie es Gunther Schmidt gerne erklärt:

Der Unterschied zwischen Theorie und Praxis ist in der Praxis größer als in der Theorie.

In vielerlei Hinsicht denke ich, dass sich Buddhismus und Stoizismus perfekt ergänzen – die Stärken des einen gleichen die Schwächen des anderen aus.

Wie der Stoizismus geht auch der Buddhismus davon aus, dass das Leben schmerzhaft und schwierig ist und dass das Streben nach Vergnügen oder das Streben nach Glück diesen Schmerz nur verschlimmert, anstatt ihn zu lindern.

Ich finde, dass der Buddhismus mit den Nuancen der emotionalen Bindung anders umgeht als der Stoizismus. Während die Stoiker sich auf eine apathische Loslösung von ihren Leidenschaften zugunsten der Vernunft konzentrieren, glauben die Buddhisten, dass sowohl Emotionen als auch Vernunft gleichermaßen illusorisch sind. Sich zugunsten der Vernunft von den Emotionen zu lösen, ist daher für einen Buddhisten genauso ein Fehler wie das Anhaften an den Emotionen.

Ich denke, der zusätzliche Schritt, den die Buddhisten im Gegensatz zu den Stoikern gefunden haben, ist die illusorische Natur des „Nicht-Selbst“ – d. h. die Vorstellung, dass das „Ich“ nicht wirklich existiert, dass es lediglich ein Knäuel fest verknoteter Überzeugungen ist, das potenziell aufgelöst werden kann. Die Stoiker verfolgten zwar richtigerweise das Ziel, das Ego zu minimieren, aber meines Wissens sind sie nie so weit gegangen, anzuerkennen, dass das Ego selbst vollständig aufgelöst werden könnte.

Buddhismus ist für mich mehr eine Lebenshaltung als eine Religion, die für die Persönlichkeitsentwicklung viel zu bieten hat:

Ursprung des Leidens (zweite edle Wahrheit)

Die Wurzel und die Ursachen des Leidens liegen in unserem eigenen Geist. Diese sind Gier, Hass und Verblendung – bekannt als die Drei Gifte. Ausgehend von ihnen verwickeln wir uns in Handlungen, die durch das Gesetz von Karma sowohl anderen als auch uns selbst Schaden zufügen. Das Leiden, das wir dadurch erfahren, veranlasst uns in der darauffolgenden Situation, nur noch aggressiver oder blinder zu handeln.

Holger Kolbe

Viele Arten des Leidens sind hausgemacht. Zum Beispiel Enttäuschung, unerfüllte Gier, Hass und Ablehnung oder sich in etwas hineinzusteigern. All das ist selbsterzeugtes Leid.

Wenn jemand mich anmacht, mich nicht respektiert, dann schmerzt mich das nur, weil ich die Erwartung habe, die Menschen sollten mich respektvoll behandeln. Das Leid entsteht also durch meine Erwartungshaltung.

Leiden ist aufwachen. Es ist ein Hinweis darauf, dass zwischen deinem „Soll-“ und deinem „Ist-Zustand“ eine Lücke besteht. Das kann bedeuten, dass es Verbesserungsmöglichkeiten gibt.

Leiden gehört zum Leben, aber wie du damit umgehst, ist deine Sache und liegt in deiner Verantwortung. Leiden bedeutet, dass man in sich etwas ändern oder man an seinen Erwartungshaltungen arbeiten könnte. Frage dich,

…, ob du in Erwartungshaltung(en) schwebst;

… ob du die Dinge vielleicht in deiner Welt falsch siehst, oder glaubst, dass du alles weißt;

… ob du denkst, dass du ungerecht behandelt wirst (nicht fair);

…, ob du gierig oder maßlos bist;

…, ob du neidisch bist.

Ich nenne Leiden lieber Schmerz, weil dann die Überlegung „Schmerz hat man, aber ob man leidet, kann man wählen“ Sinn für mich macht. In anderen Worten, du hast immer 100 % Anteil an deinem Leiden, denn es entsteht in dir.

Alles Seiende ist leidvoll (erste edle Wahrheit)

Was nun ist das Leiden? Geburt ist Leiden, Alter ist Leiden, Krankheit ist Leiden, Tod ist Leiden, mit Unliebem vereint sein ist Leiden, von Liebem getrennt sein ist Leiden, nicht erlangen, was man begehrt und erstrebt, auch das ist Leiden, kurz die fünf Gruppen des Ergreifens sind Leiden. Das heißt Leiden.

Buddha, Predigt von Benares

Leiden ist Teil des Lebens und es führt zu noch mehr Leid, wenn man das nicht wahrhaben will. Damit will man umgehen. Es geht um den Dualismus: Wenn es kein Leid gäbe, wie würden wir dann Friede und Glück wahrnehmen? Nur wo Schatten ist, kann man das Licht erkennen.

Für mich bin ich unter anderem dafür da, dass ich (spirituell) wachse. Wir alle wachsen durch Erfahrungen, durch spirituelle Impulse und wir wachsen durch Herausforderungen (ich nenne das Probleme – erneut Hinweis auf Diskrepanz zwischen „Soll“ und „Ist“) und Leid.

Wenn du über dein Leben reflektierst und dir die Frage stellst, wann du besonders gewachsen bist und auf deinem spirituellen Weg nach vorne kamst, war es vielleicht auch in Zeiten des Leids.

Leiden könnte man betrachten als das Hadern (Unzufriedenheit) mit sich selbst. Es ist auch das (Ver-)Zweifeln an sich selbst, sich nicht als das erkennen zu können, was und wer man wirklich ist.

Stelle dir eine leere Wohnung vor. In ihr kannst du so lange nicht wohnen, also deren Zweck nicht erfahren, bis sie eingerichtet ist. Du leidest, weil für jeden Erfahrungs-Zweck, der in der Wohnung stattfinden soll, braucht es die dafür geeigneten Dinge. So könnten wir es uns metaphorisch vorstellen, wie das Leiden zu dem Zweck der Erfahrung, etwas zu machen, notwendig ist.

Erfahrungen durch Leiden scheinen uns bewusster zu sein als Erfahrungen des Glücks. Jedoch nur dann, wenn das Bewusstsein das Geschehene durchschauen und es für sich als nutzbar betrachten kann. So kommen manche Menschen auf den Gedanken, sich beim Verursacher von Konflikten und Blockaden zu bedanken. Weil diese erst das Erkennen möglich gemacht haben. Das Leiden rund um das Altern, Erkrankungen, Sterben und Mangeldenken sind demnach erforderlich, um überhaupt Erfahrungen machen zu können.

Das Leiden wird so lange ertragen, bis das Bewusstsein dessen Ursache erfasst, erkannt hat und den Handlungsbedarf verstanden hat. Durch das Erkennen des Leidens könnte man durch seine Einstellungsänderung das Leiden löschen, nämlich bewusst (und zwar jeden Tag) zu erkennen, dass das Altern, die Krankheiten und das Sterben Tatsachen unserer Existenz sind.

Wir können unser Leben und das Leben anderer nicht kontrollieren. Aber wir können es beeinflussen. Und der beste Weg, dies zu tun ist, wenn wir Freiheit, Freude und Dankbarkeit empfinden. Dann entstehen nämlich Lösungen und nicht Probleme. Wenn man schlecht drauf ist, leidet, sauer oder besorgt ist, können keine Lösungen entstehen. Siehst du das auch so?

Wie sehr wir leiden, hängt ganz von unserer Reaktion
auf die üblichen Probleme ab.

Dalai Lama

Ein paar Beispiele über Leiden, die mir Freude bereiten:

Kaum habe ich genussvoll gespeist und bin kulinarisch im siebten Himmel, freue ich mich, dass ich morgen wieder leiden werde. Ich werde (Gott sei Dank) wieder Appetit verspüren und hungrig sein, also leiden und mich damit auf das nächste Mahl freuen.

Leiden, wenn der Drang groß ist. Mitten in der Fußgängerzone, – wo ist die nächste Toilette? Und dann doch rechtzeitig finden.

Minus 5⁰ Celsius, Schnee vom Auto kehren, darunter dicke Eisschicht auf der Frontscheibe, schwer freizukratzen, kalt gefrorene Finger – endlich losfahren. Nach fünf Kilometern läuft die Heizung auf Volltouren, Leiden zu Ende und weiter, ab geht es in die Kletterhalle.

Kaum bin ich oder meine Liebe ein paar Tage unterwegs, schon fehlt was = Leiden. So schön, wenn wir uns wieder sehen. Zeit, dankbar zu sein. Wir sind beide noch am Leben.

 

PS: In Erinnerung an Thich Nhat Hanh, eines seiner Bücher, das mir sehr gutgetan hat: „Versöhnung mit dem inneren Kind: Von der heilenden Kraft der Achtsamkeit“.

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