Sag mal, fragte der Freund beim Feierabend-Bier, das die Schweizer Apéro nennen, am Freitag: „Was sind dir die drei wichtigsten Dinge im Leben?“

Mit „Was meinst du genau?“ versuchte ich mir einen Augenblick zum Nachdenken zu verschaffen, und sagte dann doch spontan: „Nun ja, Gesundheit, Liebe und Lebensfreude würde ich meinen.“

„Ist doch klar“, sagte er. „Das meinte ich damit nicht“. Und erklärte: „Mehr so im Sinne, im Umgang mit sich selbst – so auf der Bühne deines Lebens.“ Und ich, wie aus der Pistole geschossen: „Für mich sind das drei Fragen, die du dir öfter mal während des Tages stellen kannst.“

Und schon war der heutige Artikel geboren.

Prolog

„Jeder Mensch muss nach seiner Weise denken; denn er findet auf seinem Weg immer ein Wahres oder eine Art von Wahrem, die ihm durchs Leben hilft. Nur darf er sich nicht gehen lassen, er muss sich kontrollieren; der bloße nackte Instinkt geziemt nicht dem Menschen.“

Goethe (Maximen und Reflexionen 460)

Selbsterkenntnis ist die Kunst, sein Leben im Einklang mit seinem wahren Selbst zu leben. Doch diesen Zustand zu erreichen, ist nicht immer einfach. Denn wir alle besitzen in den Tiefen unserer Seelen emotionale blinde Flecken, die wir (manchmal) nicht sehen können. Und so führen manche Menschen ein Leben, in dem sie sich selbst nicht spüren.

Man könnte sich also dieser inneren Herausforderung stellen, die darin besteht, tief in seine Essenz einzutauchen, um schließlich „seine Wahrheit“ zu entdecken.

Selbsterkenntnis erfordert Aufwand, und oftmals ist dieser Aufwand gepaart mit innerem Widerstand und Frustration. Mancher hat Angst, seinen Schatten zu enträtseln und die Tatsache zu akzeptieren, dass er (noch) nicht vollständig weiß, wer er ist und auch, dass er nicht perfekt ist.

Klarheit für sich zu finden ist der Anfang, wusste schon Aristoteles:

Sich selbst zu kennen, ist der Anfang aller Weisheiten.

Klarheit für sich anstreben, klar sein wie ein Kristall bedeutet Arbeit – auch Diamanten entstehen unter Druck und das wissen wir alle.

Bereit für diese Reise? Dann biete ich dir drei Fragen an, die in meiner Welt helfen, die Selbstentdeckung zu unterstützen. Antwort auf die Fragen kannst nur du selbst dir geben.

Frage 1: Ist das stimmig für mich?

„Das Herz hat seine Gründe, die die Vernunft nicht kennt. Wir erkennen die Wahrheit nicht nur durch die Vernunft, sondern auch durch das Herz.“

Blaise Pascal

Für sich aktiv werden bringt ein erfülltes, sinnvolles und selbstbestimmtes Leben mit sich. Wer will das nicht? Wenn man weiß, was man will, dann kann man daran arbeiten und es erreichen. Am meisten bereuten die Interviewpartner der Palliativschwester Bronnie Ware („5 Dinge, die Sterbende am meisten bereuen)“:

Ich wünschte, ich hätte den Mut gehabt, mir selbst treu zu bleiben, statt so zu leben,
wie andere es von mir erwarteten.

Deshalb ist dies die erste Frage, über die du mehrmals am Tag nachdenken kannst: „Ist das stimmig für mich?“

Bevor du deine Gefühle als ungenau verurteilst, denke daran, dass der Mensch ein sehr komplexer Organismus ist. Oder wie es Helm Stierlin wunderbar formuliert hat: „Den Menschen im System und das System im Menschen.“

Wir tragen hunderttausende Erlebnisnetzwerke emotionaler Entwicklungen und Erfahrungen in uns, die wir bewusst nur schwer erforschen können. Die Chancen stehen gut, dass dieses vage Gefühl, das wir in uns tragen, die so genannte Intuition, ein sehr mächtiges Wissen hat, das uns zeigt, was wir wirklich wollen. Man könnte auf sie hören und sich fragen, wie sieht es bei mir mit der Stimmigkeit aus?

Bei meinen engen Freundschaften und intimen Beziehungen?

In meinem Beruf und meinen Lebenszielen?

Mit der Stadt, in der ich lebe?

Mit den Hobbys, die ich habe?

Die Stimmigkeitsprüfung darf man anwenden, bei allem, bei allem was man im Leben so tut. Erlebst du eine mitreißende Freude, während du durchs Leben gehst oder spürst du eine Last in dir?

Fühlst du sich entspannt, wenn du mit deinen engen Freunden zusammen bist oder hast du das Gefühl, dass du für dein wahres Selbst nicht genügend gewürdigt wirst?

Hast du das Gefühl, dass die Stadt, in der du lebst, dich glücklich macht oder dich erdrückt?

Ungewöhnliche Fragen führen zu außergewöhnlichen Antworten. Frage weiter und für dich wichtige Wahrheiten werden auftauchen.

Frage 2: Wofür?

Das ist meine Lieblingsfrage. Erstens, weil wenn man sich, bevor man etwas tut oder denkt, fragt „Wofür?“, dann hat man einen Raum zwischen Reiz und Reaktion geschaffen. Und zweitens, wenn man die Frage stellt, dann erkennt man, dass man immer wählen kann. Das ist für mich Freiheit. Da entsteht Raum für Entwicklung und Neues.

Gibt es noch Wesentlicheres? Wenn ich wähle und damit „Ja“ sagen kann, dann bin ich nur dann frei, wenn ich auch „Nein“ sagen könnte. Unsere Freiheit in diesem Kontext ist eine menschliche und keine absolute, also eine bedingte Freiheit, eine Freiheit mit Grenzen. Wir sind nicht allmächtig, aber wir haben immer die Freiheit und damit die Wahl, das Wertvolle vom weniger Wertvollen im Sinne von „Wofür?“ zu unterscheiden:

·         Was oder wem wende ich mich gerne und spontan zu?

·         Gebe ich dem (genug) Bedeutung, was mich innerlich ergreift?

·         Gibt es etwas Schönes, das in dieser Stunde in dieser Situation da ist, vielleicht einmalig ist?

·         Was kann ich in der gegenwärtigen Situation Wertvolles (für mich) tun?

Bei unabänderlichen Situationen:

·         Welche Sichtweise bringt mich weiter?

·         Welche Sichtweise schränkt mich ein?

Frage 3: Handle ich nach meinen Werten?

Wenn man mit sich selbst bewusst ist, wird man erkennen, dass man einige Prinzipien hat, nach denen man leben will. Wenn man sich an ihnen orientiert, beruhigt sich das Leben auf geistiger und emotionaler Ebene:

Du bist stärker in deiner Identität verankert, handelst kongruenter und jede deiner Handlungen ist ein Spiegelbild deiner tiefsten Überzeugungen.

Erkennt man seine eigenen Werte oder jene von anderen Menschen, dann sieht man die Identität einer Person. Werte entstehen alle von außen. Babys haben keine Werte, übrigens genauso wie sie auch keine Glaubenssätze haben. Werte entstehen durch Erfahrungen – positive und negative –, Kindheitserlebnisse, Familie, Freunde, TV, Politiker, Kultur, Bücher, dem Heimatland, Gespräche und vieles mehr.

Wann immer wir entscheiden, was richtig und was falsch ist, etwas als gut oder schlecht bewerten, betrachten wir die Situation wie mit einer Spezial-Werte-Brille durch einen Filter unserer Werte. Es gibt keine guten oder schlechten Werte: es gibt nur Werte, für den einen richtig, für den anderen falsch. Werte sind persönlich, versteht – als Beispiele – doch jeder etwas anderes unter den Begriffen Freiheit oder Frieden, Glück oder Liebe.

Werte sind implizite Erinnerungen, die in uns leben. Sie sind jedoch im Hintergrund und einfach da. Sie kommen uns nicht als Erinnerung vor. Werte sind Motivatoren; entweder hin zu etwas Gutem oder weg von etwas Schlechtem.

Handle ich nach meinen Werten?

Es ist eine Voraussetzung zum Glücklichsein, in Harmonie (ohne Konflikte) mit seinen Werten zu leben. Dazu will man diese kennen und in Betracht ziehen, dass auch die Hierarchie der Werte eine Rolle spielt. Zudem ist es gleichermaßen notwendig, sich Klarheit über seine „Anti-Werte“ zu verschaffen, denn auch diese sind Wertvorstellungen, die uns beeinflussen.

Epilog

Echte Veränderung entsteht durch kraftvolle Erkenntnisse. Doch um zu diesen kraftvollen Erkenntnissen zu gelangen, will man über sein Leben reflektieren.

Dabei gehört es dazu, dass wir nicht perfekt sind. Wir tragen Dinge in uns, auf die wir nicht stolz sind, Dinge, die wir heute verabscheuen, aber trotzdem Teil von uns sind.

Ich meine, es die angeborene Pflicht eines Menschen, sich selbst zu kennen, um wirklich glücklich zu sein und dieses Glück teilen zu können. Wenn man sich auf die Reise der Selbstverwirklichung begibt, kann man sich diese einfachen Fragen immer wieder stellen, gerade dann, wenn man glaubt, dass man den Überblick verloren hat:

⇒  Bringt mich das, was ich gerade tue, mit meinem authentischen Selbst in Verbindung? Ist es stimmig für mich?

⇒  Wofür mache ich das? Was sind die Auswirkungen meines Handelns, für mich und für andere?

⇒  Handle ich in diesem Moment nach meinen Grundwerten?

„Das ungeprüfte Leben ist nicht lebenswert.“

Sokrates

Zitat, das mich diese Woche beschäftigt hat (mit Dank an Gerhard):

Aus all dem können wir lernen: es gibt auf Erden zwei Menschenrassen, aber auch nur diese beiden: die »Rasse« der anständigen Menschen und die der unanständigen Menschen. Und beide »Rassen« sind allgemein verbreitet: in alle Gruppen dringen sie ein und sickern sie durch; keine Gruppe besteht ausschließlich aus anständigen und ausschließlich aus unanständigen Menschen, in diesem Sinne ist also keine Gruppe »rassenrein« – nun, und so gab es den einen oder andern anständigen Kerl eben auch unter der Wachmannschaft!

Frankl, Viktor E.. … trotzdem Ja zum Leben sagen: Ein Psychologe erlebt das Konzentrationslager (German Edition) (p. 130). Kösel-Verlag. Kindle Edition.

 

PS:

Modul: „Was ist stimmig für mich

Modul: „Grund- und Antiwerte

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