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Stillstand vermeiden

„Tätigkeit ist der letzte Ausweg jener, die nicht verstehen zu träumen.“

Oscar Wilde

Arbeitgeber mögen Tagträumen als Zeitverschwendung sehen, aber eine kurze Auszeit während des Arbeitstages mag, so die Wissenschaft, Ihre Produktivität erhöhen. Den Geist bewusst herumwandern zu lassen, erhöht die Kreativität und hilft, komplexe Lösungen zu finden, sagt die Neuro-Spezialistin Dr. Fiona Kerr:

„Weit gefehlt, Tagträumen ist keine Zeitverschwendung. Die Denk-Ergebnisse werden mit Tagträumen (ebenso wie mit Reflexion) produktiver, wenn es darum geht, komplexe Probleme zu lösen oder kreative Lösungen und Ideen zu entwickeln, was mit fMRI Scans nachgewiesen, respektive beobachtet werden kann. Wir finden Lösungen und kreative Ansätze durch nichtlineare Abstraktionen im Gehirn und wir verknüpfen Informationen, die vorher nicht miteinander verbunden waren. Dies ist hauptsächlich auf Wellenmuster, wie Alpha und Gamma zurückzuführen, die mit den Chemikalien wie Acetylcholin und Dopamin dem Hirn quasi einen neutralen Reset anbieten, was zu neuen Einsichten führt.“

Sie ist nicht allein in ihrer Interpretation der Forschung. Im Bereich der Bildung wurde schon in den 1980er Jahren eine Menge in Hinblick auf reflektierendes Denken investiert und ist heute ein kritischer Bestandteil eines effektiven Lernens.

Überall in der Geschichte haben Koryphäen wie Charles Darwin, Alber Einstein und Friedrich Nietzsche einiges von ihrem Genie den vielen Stunden zugeschrieben, die sie mit Tagträumen verbracht haben. Darwin war bekannt dafür, einen „Denk-Pfad“ entlang zu schlendern und Nietzsche, Kant etc. spazierten in der Natur umher, um ihren Gedanken freien Lauf zu lassen.

Im Kern führt eine gesunde Menge an Tagträumen und Reflexion zu einer Gedächtniskonsolidierung, lässt uns nichtlineare Zusammenhänge erkennen und die Dinge unter einem anderen Licht betrachten.

Das in Gedanken Herumwandern, kann uns also helfen, die Welt mit ihren Problemen (Herausforderungen sind es nur) anders zu sehen. Wir könnten uns überlegen, wie wir dies noch sinnvoller, mit einer wesentlich höheren Belohnung, einsetzen:

Eine ZSWR (Zwei-Stunden-Wochen-Routine) planen, um nichts zu tun als zu denken und Tagträume wirken zu lassen. Dazu braucht es nicht viel. Einen ruhigen Ort, ungestört, einen Lieblingsstift und ein Notizbuch oder Journal und schon kann es losgehen: Über meine Arbeit und meinen Lebensstil reflektieren und meinen Gedanken freien Lauf lassen.

Einmal in der Woche, meistens Montags, früh am Morgen, plane ich zwei Stunden ein, um nichts anderes zu tun, als nachzudenken. Alle Ablenkungen werden eliminiert, gerade die elektronischen Störenfriede, mein Telefon also auf Flugmodus und PC abschalten.

Zwei Stunden sind eine lange Zeit und sehr wertvoll. Herrlich, 120 Minuten nur für mich! Manches in diesem Zeitfenster mag sich als unproduktiv anfühlen, nicht alles wird perfekt strukturiert sein. Es gilt anzufangen. Ich fange mit ein paar Aufwärm-Fragen an, der Rest ergibt sich dann von selbst:

⇒ Bin ich begeistert von dem, was ich aktuell seit meiner letzten ZSWR unternommen habe oder war es mehr ein Schlendern, ziellos im Hamsterrad?

⇒ Wofür bin ich letzte Woche dankbar, im Sinne von Wertschätzung?

⇒ War mein Oszillieren zwischen Arbeit und Privat ausgewogen?

⇒ Wie beschleunige ich den Prozess, von wo ich bin zu wo ich sein will?

⇒ Welche grösseren Opportunitäten lasse ich aussen vor, die ich möglicherweise tun könnte?

⇒ Welche kleinen Aktionen könnten grosse Wirkung zeigen?

⇒ Was könnte in den nächsten sechs Monaten schief laufen?

Ich kann mit grosser Überzeugung bestätigen, dass diese zwei Stunden ein sehr gutes Investment sind. Probleme (= Überraschungen, die unangenehm sind) werden oftmals in ihrer Planungsphase erkannt und können vermieden werden und ich fand Gedanken, die sich nicht nur als effizient erwiesen, sondern die auch neu für mich waren.

Interessanterweise entsteht der Mehrwert nicht bei der Beantwortung der Routinefragen oben. Einsichten kommen und entwickeln sich, wenn ich die Gedanken wandern lasse und mir die Ideen, über was ich sonst noch nachdenken könnte, ausgehen. Gerade, wenn man denkt, da fällt mir jetzt nichts mehr ein, gilt es weiter zu beobachten, was im Hirn noch auftaucht. In sich lauschen und geniessen. Es ist Qualitätszeit mit sich selbst.

Mitnehmen?

Einstein wäre nicht Einstein ohne seine Gedanken-Experimente: „Wenn ich mit Lichtgeschwindigkeit reise und die Taschenlampe einschalte, um das Dunkle vor mir zu sehen, was passiert dann? Darwin und Nietzsche, wo wären sie gelandet ohne ihre Spaziergänge? Wir wissen es nicht und die Stichprobe mag nicht wirklich repräsentativ sein – und wenn doch etwas Wahres dran ist?

Zwei Stunden, nur mit sich alleine mit Denken verbringen, scheint lange zu sein. Allein der Gedanke mag für manche Unbehagen auslösen. Vielleicht genügt Ihnen auch eine Stunde, zumindest zu Beginn. Ich verspreche Ihnen, es ist eine würdige Investition.

Die Gedanken und Ideen bewusst fliessen lassen und gute Fragen stellen, hilft dem Geist und führt nebenbei zu mehr Fokus. Mit etwas Training und zur Gewohnheit geworden, kann man sich kaum vorstellen, wie es möglich war, früher ohne ZSWR durchs Leben zu marschieren.

Es ist leicht, etwas so Einfaches, wie sich Zeit für sich zu nehmen und nachzudenken, zu vernachlässigen. Wir sind zwar oft sowieso in unseren Gedanken verloren, aber es ist etwas anderes, wenn man bewusst den Unterschied zwischen einer Ablenkung und einer sich auferlegten Routine erkennt. Man steuert das Schiff und aus den Tagträumen entstehen neue Sichtweisen.

Seien wir ehrlich, egal wie beschäftigt wir sind, wir alle absolvieren triviale Aktivitäten, die unserem Leben nichts hinzufügen. Wenn die Durchschnittsperson zwei Stunden pro Tag in den sozialen Medien und mit Selfies verbringen kann, ist doch eine Stunde oder zwei pro Woche, um das eigene Leben zu optimieren, keine wirklich ernsthafte Frage. Es ist ein kleiner Preis für eine grosse Belohnung.

Wer weiss? Vielleicht ändert sich auch Ihr Leben?

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