KURT TUCHOLSKY, auch bekannt unter seinen Pseudonymen THEOBALD TIGER, IGNAZ WROBEL, KASPAR HAUSER oder PETER PANTER, war Journalist, Satiriker, Essayist, Literatur- und Theaterkritiker, Erzähler, Lyriker, Chanson- und Briefeschreiber. Er gilt als einer der bedeutendsten deutschen Feuilletonisten des 20. Jahrhunderts. Heute ein Gedicht (mit Dank an D.), das vor 95 Jahren veröffentlicht wurde. In meiner Welt hat sich anscheinend nicht viel verändert. Was meinst du?

 

Eine Villa im Grünen mit großer Terrasse,

vorn die Ostsee, hinten die Friedrichstraße;

mit schöner Aussicht, ländlich-mondän,

vom Badezimmer ist die Zugspitze zu sehn –

aber abends zum Kino hast dus nicht weit.

 

Das Ganze schlicht, voller Bescheidenheit:

 

Neun Zimmer – nein, doch lieber zehn!

Ein Dachgarten, wo die Eichen drauf stehn,

Radio, Zentralheizung, Vakuum,

eine Dienerschaft, gut gezogen und stumm,

eine süße Frau voller Rasse und Verve –

(und eine fürs Wochenend, zur Reserve) –

eine Bibliothek und drumherum

Einsamkeit und Hummelgesumm.

 

Im Stall: Zwei Ponies, vier Vollbluthengste,

acht Autos, Motorrad – alles lenkste

natürlich selber – das wär ja gelacht!

Und zwischendurch gehst du auf Hochwildjagd.

 

Ja, und das hab ich ganz vergessen:

Prima Küche – erstes Essen –

alte Weine aus schönem Pokal –

und egalweg bleibst du dünn wie ein Aal.

Und Geld. Und an Schmuck eine richtige Portion.

Und noch ne Million und noch ne Million.

Und Reisen. Und fröhliche Lebensbuntheit.

Und famose Kinder. Und ewige Gesundheit.

 

Ja, das möchste!

 

Aber, wie das so ist hienieden:

manchmal scheints so, als sei es beschieden

nur pöapö, das irdische Glück.

Immer fehlt dir irgendein Stück.

Hast du Geld, dann hast du nicht Käten[1];

hast du die Frau, dann fehln dir Moneten –

hast du die Geisha, dann stört dich der Fächer:

bald fehlt uns der Wein, bald fehlt uns der Becher.

 

Etwas ist immer.

Tröste dich.

 

Jedes Glück hat einen kleinen Stich.

Wir möchten so viel: Haben. Sein. Und gelten.

Daß einer alles hat:

das ist selten.

 

(1927)

[1] „Käthe“ steht in dem Gedicht wohl für Frau allgemein, „Käthen“ ist dann eine alte Akkusativendung bei Verwandtschaftsbezeichnungen und Namen.

Ich habe „Vatern“ (statt den Vater) gesehen, oder ich habe „Käthen“ gesucht (die Käthe).

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