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Warum Vorsätze scheitern…

…und was wir dagegen tun können

Ich will es nicht glauben, aber es ist bereits  Juli: das halbe Jahr schon wieder vorbei. Welche meiner Vorsätze habe ich dieses Jahr eingehalten? Wer hat gewonnen, ich oder mein innerer Schweinehund? Ein paar Dinge habe ich ja umgesetzt, aber dann, die Rückfallquote war hoch. Wenigstens ein bisschen etwas habe ich zustande gebracht. Aber warum nur ein bisschen? Bin ich ein Weichei, ein Schiffschaukelbremser, der keine Willenskraft hat? Keinesfalls, natürlich nicht, bin ich doch wahrscheinlich nicht der einzig Rückfällige. Aber warum ist das so?

Weil es normal (was immer „normal“ heisst) ist. Wir alle widerstehen, sozusagen automatisch, jeglichem Neuen, jeglicher Veränderung, ob zu unserem Besseren oder Schlechteren. Unser Körper, Gehirn und unsere Verhaltensweisen haben eine eingebaute Tendenz, alles innerhalb einer relativ schmalen Bandbreite zu halten. Wenn wir in unseren Gewohnheiten etwas verändert haben, dann fallen wir, früher oder später und öfter denn nicht, in unser altes Muster zurück.

Der wissenschaftliche Name für den Schweinehund ist Homöostase“.  Sie arbeitet wie ein Thermostat, sorgt für Ausgleich, erinnert sich, was gestern gut für uns war und erachtet es deshalb als wertvoll (gut) genug, um es heute zu wiederholen. Das ist in vielen Fällen gut so. Zum Beispiel, wenn unsere Körpertemperatur oder Blutzuckergehalt um 10% schwanken würden, dann hätten wir ein Problem. Unser Hirn regelt und hält uns, ohne unser Zutun, im Gleichgewicht, wie alle sich selbst regulierenden Systeme. Vom Bakterium über den Frosch bis hin zum Menschen. Wir haben circa 150.000 kleine Thermostate in Form von Nervenenden nahe unter der Haut, um Wärmeverlust in unserem Körper registrieren zu können, damit wir uns den Pullover holen, wenn es zu kalt wird.

Das Problem ist, Homöostase  arbeitet, um alles beim Status Quo zu halten, selbst dann, wenn es (eigentlich) nicht gut für uns ist. Angenommen, die letzten 20 Jahre habe ich keinen Sport getrieben. Um genauer zu sein, seit dem Militär nicht mehr. Nun, die meisten meiner Freunde joggen und ich entscheide mich, auch etwas für meine Gesundheit zu tun. Die passenden Klamotten und Laufschuhe einzukaufen, macht noch Spass, wie auch die ersten 100 Meter. Aber dann passiert es: Der Magen drückt, es wird mir leicht schwindlig, ich spüre einen Anflug von Panik, vielleicht werde ich sterben…

Die Sensationen, die ich empfinde, sind wahrscheinlich nicht halb so schlimm, wie ich sie wahrnehme. Was ich tatsächlich erhalte, sind homöostatische Warnsignale, alle Lampen gehen auf Rot und die Glocken läuten:

Achtung! Achtung!
Aussergewöhnliche Veränderung des Herzschlages, des Metabolismus und Wasserverlust durch Schwitzen.
Was immer du tust, höre auf.
Stopp! Stopp! Jetzt gleich.

Homöostase widersteht jeglicher Veränderung. Nach 20 Jahren Couch (-ieren), hält sie dies für den Normal-Status. Jegliche Veränderung wird als Bedrohung und Gefahr eingestuft. Genauso geht es mit unseren Vorsätzen und Zielen, die ja meistens mit Veränderung einhergehen. Nicht unsere Schuld also…

Häufiger als nicht, sabotieren wir unsere Vorsätze. Heute gehe ich Laufen; oh nein, es regnet wolkenbruchartig. Das Stück Kuchen esse ich noch, ab Morgen dann nichts Süsses mehr. Meinen Alkohol- (Buttercroissant) Konsum will ich reduzieren, aber selbst bei der Vernissage schenken sie Wein aus; ein Gläschen kann nicht schaden, und die Croissants am Seminar sind butterzart und einfach köstlich….

Doch schlussendlich liegt die Entscheidung nur bei mir. Will ich tatsächlich etwas verändern? Wie bleibe ich auf meinem Pfad? Hier fünf Leitlinien – in der Schweiz würden wir es Wegleitung nennen – die mir helfen, mit Veränderung leichter umzugehen:

1. Sich über Homöostase klar sein

Das ist wahrscheinlich das Wichtigste. Widerstände erwarten und mich darauf vorbereiten. Nicht alle Warnsignale, im Hinblick auf meine Veränderung, wollen mir mitteilen, dass ich krank, irre oder faul bin oder eine doofe Entscheidung getroffen habe. In der Tat ist es so, dass diese Gefühle mir zeigen, dass ich auf dem richtigen oder besseren Weg bin, da ich aus meiner Komfortzone heraustrete. Wenn ich mich heute sportlich betätige, dann werde ich mit 70 mit Dankbarkeit auf meine Weitsicht zurückschauen. Also, keine Panik bei den ersten Anzeichen von Schwierigkeiten in der Umsetzung von guten Vorsätzen. Ist es leicht, ist es seicht, und Vorsätze als klares Ziel (oh ja, SMART: spezifisch, messbar, aktionsorientiert, realistisch und terminiert) formuliert, erhöht die Erfolgsaussichten signifikant.

2. Bereitschaft haben, mit dem Widerstand zu verhandeln

Wenn die Warnlampen blinken, was dann? Nun, nicht gleich aufgeben, aber auch nicht mit dem Kopf durch die Wand. Vielleicht ist die Grenze des Machbaren heute anders als gestern. Die Kunst besteht darin, sich beim Annähern an die eigene Grenze, mit der Fähigkeit, zwei Schritte vor und einen zurück oder umgekehrt, zu spielen. Ich darf mich puschen, aber nicht, ohne mir darüber im Klaren zu sein. „Koste es, was es wolle“  kann zu Konsequenzen führen, die es um ein vieles einfacher machen, die Rückfallquote zu erhöhen. Beim ersten Lauf gleich 12 km zu joggen, um hinterher den massiven Muskelkater auszukurieren, da wird der nächste Lauf unwahrscheinlicher. Oft sehe ich die Vorsätze nur entweder 100% oder gar nicht (Schwarz-Weiss), und doch gibt es viele Farben dazwischen, über die ich mit mir verhandeln kann.

3. Unterstützung finden

Ja, wir können es alleine vollbringen, aber es ist viel einfacher, wenn ich einen Weg finde, Herausforderung und Gratifikation mit anderen zu teilen. Am besten mit Menschen, die Ähnliches schon durchlebt haben, die um die Schwierigkeiten wissen und mit Wort und Tat unterstützen können. Bin ich auf mich allein gestellt, dann hilft es, die Welt um mich herum zu informieren, was mein Ziel ist und um Ermunterung zu bitten. Hinzu kommt, je mehr Leute wissen, dass ich mir eine Aufgabe gestellt habe, umso schwieriger werden Rückzieher für mich. Ich könnte auch Vorbild werden und die Anderen denken, „wenn der das kann, dann kann ich das schon lange“.  Geht übrigens auch umgekehrt.

4. Lieber regel- als übermässig

Das neue, zu erreichende Verhalten, wird Routine für mich, wenn regelmässig praktiziert. Gewohnheiten etablieren sich am besten in kleinen Schritten, bewusst geplant und durchgeführt. Professor Fogg, schlägt zum Beispiel vor, will ich endlich meine Zähne flossen, dann fange ich mit einem Zahn, jeden Morgen oder Abend, an. Die Macht der Gewohnheit für mich arbeiten lassen. Die Dynamik der Gewohnheiten kann man spüren, wenn man zum Beispiel die Zähne mit der anderen Hand putzt. Überhaupt gibt es im Badezimmer viele Routinen, bei denen man immer die gleiche Hand benutzt. Deshalb sollte man im Mittleren Osten oder Indien nie mit der linken Hand trinken.

5. Sich dem Lernen verschreiben

Wir haben die Tendenz zu vergessen, dass Lernen weit über das Buch-Lernen hinausgeht.

Lernen ist Veränderung

Erkenntnisse und Lernen, ob aus Büchern, durch Beobachtung meines Körpers oder meiner Verhaltensweisen, ist ein Vorgang, der mich verändert. Jegliche Veränderung (das einzige was sich nicht ändert ist, dass sich alles ändert)  als Lernen und als Experiment zu definieren, hilft mir, sie mit spielerischer Leichtigkeit anzugehen, wie ein Kreuzworträtsel. Das muss wirklich nicht nach der Universität oder mit 40, 60 oder 80 enden, und das beste Lernen ist das Erlernen, wie Veränderung für mich funktionieren kann. Homöostase hin oder her, wenn ich wirklich etwas ändern will, dann liegt es doch alleine an mir.

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Mehr Sport, mehr Schlaf – weniger Süsses, weniger Alkohol. Wenn da nicht nur der innere Schweinhund wäre. Schweinhunde hassen Veränderungsprozesse, und je älter wir werden, umso häufiger scheint es, dass wir vergessen, dass manches Zeit braucht und mit Aufwand verbunden ist. Geht es darum etwas zu verändern, hilft mir immer wieder die Frage:

„Welchen Aufwand bin ich bereit auf mich zu nehmen?“

Ein Beispiel. Ich fange mit etwas Einfachem an. Ich versuche mir mit meiner Hand an die Stirn zu fassen. Ah, das ist einfach, geht automatisch, aber es gab eine Zeit, als ich diese Übung nicht meistern konnte, und Sie auch nicht. Es gab eine Zeit, da war ich von dieser einfachen Meisterleistung genauso weit entfernt, wie heute als Nicht-Klavier-Spieler von der Fähigkeit, eine Beethoven-Sonate zu spielen.

Damals (als Baby) musste ich als erstes lernen, wie ich die Bewegung meiner Hände koordiniere und wie ich sie dorthin kriege, wo ich sie haben will. Ich musste eine Art kinästhetisches Modell meines Körpers entwickeln, um überhaupt eine Idee zu bekommen, wie sich meine Körperteile zueinander verhalten. Der Mutter nebenbei ausserdem noch klar machen, dass es Zeit für Lunch war, habe ich irgendwie auch noch gemeistert. Fantastisches Lernen spielte sich ab und über das Sprechen lernen haben wir noch gar nicht nachgedacht. Nur nachdem ich das alles intus hatte, konnte ich meinen Eltern folgen und auf ihre Fragen reagieren:

„Wo ist deine Nase?“
„Wo sind deine Ohren?“
„Wo ist deine Stirn?“

Das bereitete den Eltern grosse Freude, wenn ich mir auf die erste Frage an die Nase griff. Dieses Lernen erfolgte nicht auf einer geraden Linie, da gab es Phasen, da dachte ich (damals nicht wirklich), ich komme auf keinen grünen Zweig. Trotzdem, ich habe es gelernt, genauso wie ich Laufen lernte, langsam und mit vielen Misserfolgen. Möchte nicht wissen, wo ich gelandet wäre, hätten meine Eltern versucht, mich nach dem 46ten Male hinfallen, so zu ermuntern:

„Jetzt stell‘ dich doch nicht so an. Laufen und Gleichgewicht halten ist doch so einfach. Schau, ich zeige es dir.
Einfach laufen, reiss‘ dich zusammen.“

Es begann schwierig und wurde einfacher und einfacher, durch Anweisungen, positive Ermutigungen und Praxis, viel Praxis. Heute sind wir alle Meister im Laufen. Die Erfahrung, wie wir z.B. Treppen steigen, auf den Gebirgspfaden wandern und dabei unser Gleichgewicht (abhängig von Tageszeit) im Griff haben: Meisterhaft!

Genauso können wir die alle anderen Dinge meistern, mit Anweisungen, Ermutigungen und mit viel Praxis. Überlegen wir, was wir bis heute alles vollbracht haben. Auf was wir stolz sind. Das dürfen wir, zumindest für uns selbst, sehr wertschätzen und wir dürfen für unsere Fähigkeiten dankbar sein. Stellen wir uns vor, jemand würde uns verbieten, Neues zu lernen oder uns zu verändern. Unsere Autonomie wäre erheblich eingeschränkt. Das wollen wir nicht, auch, wenn der Jemand Schweinehund  heisst. Jeden Tag können wir Neues lernen.

„Was lerne ich heute?“

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