Bild: wiki-commons

Mit dem Ego ist es so eine Sache. „Sein Ego ist so gross, dass es kaum in die Turnhalle passt“, könnten wir sagen. Wir benutzen es meist mit einer negativen Konnotation. Und doch, Ego brauchen wir genauso wie unser Rückgrat – sonst, wie mein Grossvater gerne zu sagen pflegte, „ohne Rückgrat müsstest du den Arsch in den Händen halten.“

Bei 46 Jahren liegt der durchschnittliche Tiefpunkt in der Lebenszufriedenheit (Studie: Blanchflower, Oswald 2008 in 72 Ländern durchgeführt). Die Zufriedenheitskurve des erwachsenen Lebens hat demnach eine U-Form: Sie fängt oben an in den jungen Jahren, sinkt ab und bewegt sich im Alter wieder nach oben. Ganz unten in der Senke, da sind statistisch die 46-Jährigen. In der Talsohle hat das Ego seine Krise – man nennt das die Midlife-Crisis.

Kieran Setiya lehrt am Massachusetts Institute of Technology (MIT) Philosophie und in seinem Buch Midlife: A Philosophical Guide setzt er sich vordergründig mit dieser Thematik auseinander (Den drei Amazon Sternen stimme ich nicht zu). Er fasst m.E. die Midlife-Crisis ziemlich weit, so dass ich denke, ich befinde mich mit 60 Jahren so etwa im zweiten Drittel und da bleibe ich einfach. Letztendlich geht es in seinem Buch um existentielle Herausforderungen – ohne dass man gleich an Pathologien wie Burn-out oder Depression denkt, die unabhängig vom Geschlecht oder der sozialen Klasse, halt Teil unseres Lebens sind, nicht an die Midlife-Crisis gebunden sind – und wie man damit besser umgehen kann. Mit anderen Worten, es ist eine Anleitung zum Glücklichsein.

Kein Wunder, ist die Midlife-Crisis ein Begriff, den ein Psychoanalytiker 1965 in einem Fachaufsatz auf die Welt brachte, der inzwischen 53 Jahre alt ist und also aus dem Gröbsten heraus sein sollte.

Die scheinbar kleine Luxuskrise, mit der wir (me too) gerne kokettieren, berührt in Wahrheit Fragen, die das ganze menschliche Leben stellt: „die fortschreitende Einschränkung von Möglichkeiten, die Vollendung oder das Scheitern von Projekten und die Sinnfrage: „War das alles?“ Waren wir nicht gerade erst so einigermaßen erwachsen geworden? Hätten wir andere Wege einschlagen sollen? Und wird das Problem nicht dadurch schwerer handhabbar, weil wir keinen eindeutigen totalen Energie- und Sinnzusammenbruch erleben, keine nihilistische Katastrophe erfahren, sondern nur so sind wie all die anderen?

Weit gefehlt, meint Setiya. Tiefgründig argumentiert und referiert er in seinem Buch über das Paradox des Egos, über das Leben im Moment und über die Hohlheit des zielorientierten Lebens, respektive über die dabei fehlende Balance.

Wir sind nicht, was wir uns vornehmen zu erledigen.

Kieran Setiya

Wir sind fixiert auf Projekte und Ergebnisse. Wir sind trainiert im Abhaken von „erledigt“. Im Gegensatz zum pessimistischen Schopenhauer, „Entweder wir leiden unter der Noch-nicht-Erfüllung oder unter der Erfüllung von Begierden“, schlage ich vor, dass wir uns auf „Wünsche“ und „Vermeidung“ als Bestandteile unseres Lebens einigen.

Paradox des Egos

Wenn wir unsere Wünsche erfüllen wollen, einen Plan haben, wie wir sie erfüllen wollen, dann legen wir los. Das Belohnungsversprechen motiviert uns. Die Belohnung, „dann sind wir glücklich“, liegt jedoch in der Zukunft. Und dann, in sich in der Tat paradox, wenn wir das Ziel erreicht haben, zum Beispiel um bei der Midlife-Crisis zu bleiben, das Motorrad (ja klar, Harley Davidson, Easy Rider) vor der Tür steht, dann ist die Geschichte mit dem Glücklichsein bald vorbei – wenn das Ziel erreicht ist, dann ist es sogleich in der Vergangenheit.

Das gleiche gilt für die Promotion, die Gehaltserhöhung, den Firmenparkplatz und all die anderen Dinge, die wir erreichen. Früher oder später, nachdem wir am Ziel angelangt sind, verflüchtigt sich dieses Gefühl des „jetzt bin ich glücklich“. Unser Ego motiviert uns und arbeitet also darauf hin, uns unglücklich zu machen.

Die Philosophen nennen das das Paradox des Egoismus (deskriptiven, psychologischen, rationalen, ethischen und konditionierten Egoismus aussen vorgelassen).

Es sind die Fragen, die mit zwanzig oder siebzig gestellt werden dürfen. Die Fragen nach dem Verlust, dem Bedauern, Erfolg und Misserfolg, nach dem Leben, das man leben will und das man lebt. Zeit ist nicht umkehrbar und trotzdem, die Fragen sind temporärer Struktur, denn das Leben wartet nicht. Es geht um das, womit man sein Leben auffüllt. Mit diesem Moment kann man sich anfreunden. Sie haben lange genug gelebt, um die Frage zu stellen, „Ist das Alles?“. Lange genug, um dümmliche Fehler gemacht zu haben, Triumphe und Misserfolge mit Stolz oder Bedauern erlebt zu haben.

Setiya schreibt:

„…kümmere dich nicht nur um dich selbst. Wenn nichts anderes als dein Wohlfühlen dir als wichtig erscheint, wenn du selbstsüchtig bist, wird dich nicht viel glücklich machen…. Es ist natürlich, nach dem Glücklichsein zu streben, es als Ziel zu sehen und darauf hinzuarbeiten. Die Ironie ist nur, dass du das Gegenteil benötigst: um glücklich sein zu können, musst du erkennen, das Glücklichsein nicht direkt erreicht wird, sondern dadurch entsteht, dass du auch in andere Dinge eintauchst, dich interessierst und so beginnst, dein Leben zu verändern.“

Schwimmen? Oder gerade über Wasser halten?

Das Problem entsteht, so Setiya weiter, wenn unser Leben nur mit einer Art von Aktivität erfüllt ist. Er benennt diese als die „ameliorate values“, verbesserungsorientierte Werte-Aktivitäten.

„…modernes Leben kommt mit einem Defekt daher: Es kann überladen sein mit Forderungen, Rechnungen zu bezahlen, Münder zu füllen, Probleme zu lösen, beschäftigt sein mit ‚Kampf und Entbehrung‘. Denken Sie nur an die Tage, an denen Sie nichts haben worauf Sie sich freuen können, ausser endlich schlafen zu gehen, um der Atempause willen von der Kinderbetreuung, dem Feuerlöschen im Büro oder dem Aufrechterhalten der Beziehung. Verstehe mich nicht falsch, diese Dinge sind alle wichtig, sie haben ein Endziel – und doch, im Prinzip sind sie verbesserungsorientiert. Im Hamsterrad dessen, was getan werden muss, gefangen zu sein, Tag für Tag, lässt einen kaum die Zeit finden, Dinge zu tun, die man tun möchte, aber nicht braucht“.

Wenn das Leben ‚erfüllt‘ ist mit den Dingen, die es zu tun gibt, Pampers wechseln, Spülmaschine einräumen – oh ja – auch ausräumen, Feuerwehr spielen etc. – dann fühlen wir uns, als ob das ganze Leben ein verzweifelter (und hoffnungsloser) Versuch ist, den Kopf über Wasser zu halten.

Wir brauchen neben dem Feuerlöschen noch andere Aktivitäten. Setiya bezeichnet diese Aktivitäten als ‚existential values“, also, Aktivitäten mit existentiellen Werten erfüllt:

„Existentielle Aktivitäten kümmern sich nicht um die unglücklichen Gegebenheiten und Merkmale des täglichen Lebens. Beispiele reichen von der Philosophie und der gekonnten Art Geschichten zu erzählen, zum Musikhören, zu schwimmen oder zu segeln oder sich mit Familie und Freunden zu treffen. Diese Aktivitäten mögen eine Reaktion auf die Schwierigkeiten im Leben sein. Sie können ablenken oder einfach dem Zeitvertreib dienen. Aber sie sind gleichzeitig eine mögliche Quelle der inneren Heiterkeit und Freude, die nicht mit der Last und Unvollkommenheit und den Schönheitsfehlern des täglichen Lebens verbunden sind. Die grösseren Übel werden im Moment vernachlässigt“. Einer der Schritte zu mehr Glücklichsein.

Hohlheit des zielorientierten Lebens

Es ist so, dass wir Menschen respektieren, die „zielorientiert“, „produktiv“ und „engagiert“ sind. Setiya jedoch argumentiert, dass eine Überbesessenheit, eine Obsession für Ziele und Errungenschaften – was er das „projektgesteuerte Leben“ nennt – eine häufige Ursache für Unglücklichsein sein kann.

„Besessen sein von Dinge erledigen zu müssen, lässt keine Zeit für sich übrig. Ist die Quelle des Sinn und Zweck des Lebens für Menschen mit überwältigender Mehrheit zielorientiert, dann gilt, unabhängig von den zugrunde liegenden Werten – existentiell oder zielorientiert, dass es Schemata oder Systeme sind, bei denen der Erfolg, wenn erreicht, nichts anderes als die Beendigung des Glücklichseins mit sich bringt.“

Dieses selbstzerstörende „Erreichen-wollen“ findet sich in Rachel Cusks Novelle „Outline“:

In seiner Ehe, das realisierte er nun, ging es immer nur um das Erreichen: Im Beruf, der Hauskauf, sonstigen Anschaffungen, die Autos, das Streben nach höherem sozialen Status, mehr Reisen, mehr Freunde – selbst die Produktion der Kinder fühlte sich an wie eine Obligation innerhalb dieser verrückten Reise; unwiderruflich, so erkannte er jetzt, seit dem es nichts mehr Zusätzliches anzuschaffen oder zu verbessern gab, keine neuen Ziele mehr auftauchten oder Etappen vor ihm lagen, seitdem fühlte er sich leer. Es scheint, die Reise ist am Ende und er und seine Frau wurden von einem grossen Gefühl der Sinnlosigkeit, beinahe wie eine Krankheit überflutet, obwohl es nur das Gefühl der Stille nach einem Leben mit zu viel Bewegung war, ähnlich anfühlend wie ein Matrose, der nach langer Zeit auf See, wieder festen Boden unter sich spürt – was für beide bedeutete, dass sie sich nicht mehr liebten.

Setiyas Empfehlung:

Lieber weniger auf „telic“ (gr.: telos = Ziel), zielorientierte Aufgaben und Projekte konzentrieren, sondern auch „atelic“ Aktivitäten tun, die in sich einen Wert haben und kein Ende (kein Erreichen) haben, egal wie oft man sie ausführt. Beispiele für atelic Aktivitäten: Musik hören, Steak-Dinner mit Freunden oder im Park spazieren gehen. So, wie können wir das erreichen?

Es gibt zwei Varianten:

Mehr Unnützes unternehmen: Nicht jeder von uns braucht eine Glatze, muss nach Indien oder sich in eine Höhle zurückziehen, um existentielle Aktivitäten zu finden. In die Oper gehen, Gedichte lesen, Dinge tun, die keinen Sin haben, ausser demjenigen, dass Sie es tun wollen.

Gewahrsein: Niemand kann ohne Ziele oder ohne Projekte und Aufgaben leben. Jedoch kann man die Betrachtungsweise ändern und wie man an die Dinge herangeht. Gewahrsein, im Hier und Jetzt, die Gedanken, die gerade zeitreisen, ob in der Zukunft oder der Vergangenheit, hierher holen. Wir leben nur im Moment. Wir mögen in die Gym gehen, um gesund zu bleiben aber das bedeutet nicht, dass man die Hanteln um der Hantel willen nicht geniessen kann.

 

(Hier, für alle, die nun eine Stunde für sich reservieren können, tiefer ins Thema einsteigen wollen, hier ein Dialog zwischen Robert Wright und Kieran Setiya, English, 1:12)

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