Photo: Jeremy Perkins,

Gewohnheiten I

Schon erschöpft? Das Jahr nähert sich unaufhaltsam dem Ende. Die Christkindl-Märkte sind im vollen Gang. Die Weihnachtstage wollen geplant werden. Und dann „Prosit Neujahr“ mit dem alljährlich auftauchenden Vorsätzen. Aus dem Frust der Nichterfüllung der bisherigen Sylvester-Willenserklärungen haben sich manche schon entschlossen, es erst gar nicht mehr zu probieren.

„Ich sollte, müsste und will schon seit langem“ sind Gedanken, die unser Hirn, oftmals ohne dass wir das wollen, beschäftigten. Meist, wenn wir von Gewohnheiten sprechen, meinen wir unsere schlechten Gewohnheiten, jene, die wir ändern oder gar eliminieren wollen. Oder wir denken an für uns unterstützende Gewohnheiten, wie zum Beispiel mehr Sport treiben oder mehr Zeit in unsere Weiterentwicklung investieren. Im Prinzip, wann immer wir eine Gewohnheit reformieren wollen, geht es um einen Vorsatz, den wir fassen. Die meisten Vorsätze werden in den Sylvester-Nächten gefasst, geplant oder/und als Verhaltensänderung (ein Ziel) ins Auge gefasst. Sylvester fühlen wir uns damit als sehr erfolgreich – nach dem Neujahrstag sieht es dann meist ganz anders aus. Morgen fange ich an. Wie das Schild an der Kneipe, das mir in den Sinn kommt: „Morgen gibt’s Freibier!“

Gym-Besucher können ein Lied davon singen. Bis Mitte/Ende Februar muss man anstehen und ab März findet man an den Geräten nur noch jene, die von dem was sie tun, überzeugt sind. Als Coach unterstütze ich Menschen, positive, langfristige Verhaltensweisen in ihr Leben einzubauen. Gelingt mir zum Teil bei den Klienten besser, als bei mir selbst. Während jedermann, zumindest an Sylvester, seine Vorsätze als erstrebenswert und wichtig für sich ansieht, umarmen manche diese Möglichkeit der Veränderung und andere sind – vorsichtig ausgedrückt – zurückhaltend in der Umsetzung.

Warum entwickeln wir uns nicht zu jener Person, die wir sein wollen?

Weil es zwei Wahrheiten gibt:

Wahrheit I: Nachhaltige Verhaltensänderung ist schwer in der Umsetzung

Allein schon mit der Verhaltensänderung anzufangen, ist schwierig und noch schwieriger ist es, sie beizubehalten. Ich behaupte, eingefahrene Verhaltensweisen zu ändern ist eines der schwierigsten Homo-Sapiens-Herausforderungen. Übertreibe ich? Beantworten Sie die drei Fragen:

⇒ Was möchten Sie in Ihrem Leben ändern?

Das kann etwas Grosses sein, Gewicht verlieren (gross), kann was Kleines sein, die Haarfrisur ändern oder die Mutter häufiger anrufen, aber fast jeder findet etwas, was er eigentlich ändern will…

⇒ Seit wann möchten Sie dies in Ihrem Leben ändern?

Wie oft in den letzten Monaten oder Jahren, tauchten nach dem Aufstehen der Gedanke oder Varianten des Gedanken auf, „Heute ist es soweit, heute ändere ich X.“

⇒ Wie hat es funktioniert?

Können Sie einen spezifischen Moment definieren, in dem Sie eine Entscheidung, etwas in Ihrem Leben zu ändern, getroffen haben, Sie dem folgten und es sich wie gewünscht entwickelt hat?

Ich bin mir sicher, Sie können die letzte Frage mit JA beantworten. Das ist gut so, denn es bestätigt, dass Sie über die notwendigen Ressourcen verfügen. Finden Sie darüber hinaus keine Situation, bei denen sie einer der drei Fragen Unbehagen zuordnen können, dann ist das Nachfolgende nicht für Sie bestimmt.

Die drei Fragen gehen Hand in Hand mit den Problemen, die auftauchen, wenn wir Veränderung im Leben anstreben. Wir geben nicht zu, dass wir uns ändern wollen/müssen, weil wir es entweder (noch) nicht besser wissen oder wahrscheinlicher, wir sind uns dessen bewusst und finden jedoch ausreichend rationale Gründe und Rechtfertigungen, warum wir es nicht tun werden. Zwei Gründe führen zu diesem inneren Widerstand:

⇒ Wir unterschätzen die Macht der Gewohnheit, unsere eigene Trägheit, was Veränderung angeht. Es bedingt viel Aufwand, etwas, was wir als komfortabel (in unserer Komfortzone ausführen) empfinden, also schmerzfrei ausführen, zu ändern. Es scheint einfach, aber es ist nicht leicht, auch wenn es langfristig zu unserem Besten wäre.

⇒ Wir wissen nicht, wie wir die Veränderung nachhaltig umsetzen können. Es besteht ein Unterschied zwischen Motivation und Umsetzungsfähigkeit. Zum Beispiel, wir wollen eine besser Figur abgeben und deshalb ein paar Kilo verschenken – wir sind motiviert. Aber, wir haben keine ausreichende Kenntnis in Hinblick auf Ernährung, um einen für uns erfolgreichen Ernährungsplan aufzustellen und glauben Diät-Mythen – deren Erfolgsquote kaum höher als die der Neujahrsvorsätze sind.

Wahrheit II: Niemand kann uns bei der Veränderung unterstützen, ausser, wir wollen uns wirklich verändern.

Das erscheint offensichtlich. Veränderung kommt von innen. Veränderung kann nicht diktiert, gefordert oder von aussen erzwungen werden. Manche sagen, sie wollen sich ändern, aber tief im Herzen ist dies ein Glaubensbekenntnis, ein Wunschdenken und nicht wirklich, was Sie wollen. Selbst wenn die Gesundheit involviert ist, sind Verhaltensänderungen schwierig. Denken Sie nur an das Rauchen. Also, gesund ist Rauchen nicht und circa zwei Drittel der Raucher offenbaren, dass sie aufhören wollen, doch probieren es nicht einmal aus. Und jene, die es probieren haben eine Erfolgsquote von circa 10%. Wir unterliegen dem „Optimism Bias“ (Optimismus Verzerrung – siehe Kahneman, Schnelles Denken, Langsames Denken) und überschätzen damit unsere Umsetzungsfähigkeit.

Ein eigenes Beispiel (Stand 3. Dezember 2017)

Ab dem 25. April 2017 konnten sich Interessenten in meinen ersten E-Kurs „BESSER ZUHÖREN – BESSER SPRECHEN“ eintragen. Dieser Kurs geht über sechs Tage und ist als Schnupperkurs gedacht, um über die eigenen Zuhörfähigkeiten zu reflektieren. Nach dem sechsten Tag besteht die Möglichkeit, sich für 24 weitere kostenpflichtige Tage zu entscheiden. Jeder Teilnehmer musste den Registrierungsprozess durchlaufen, Name, E-Mail etc. Ich denke, jeder Aspirant dachte, gute Idee, kann ich mir ja mal anschauen. Hier die Statistik:

Angemeldet:                        100%

Kurs begonnen:                  52,9%
Nicht begonnen:                47,1%

Kursteilnehmer (52,9% = 100%)

Tag 1 absolviert:                100%
Tag 2 absolviert:                81,3%
Tag 3 absolviert:                68,8%
Tag 4 absolviert:                43,8%
Tag 5 absolviert:                37,5%
Tag 6 absolviert:                31,3%

Von den 31,3% (Tag 6) haben sich 80% für den Folgekurs entschieden und aktuell haben davon 75% den Kurs abgeschlossen.

Wie sagte schon Churchill? „Ich glaube nur den Statistiken, die ich selbst erstellt habe.“

Natürlich ist es möglich, dass der Kurs nicht den Erwartungen der Teilnehmer entsprochen hat. So ist die Statistik also mit Vorsicht zu geniessen. Andererseits erklärt dies nicht, warum 47,1% der sich eingeschrieben Mitglieder den Kurs nicht begonnen haben.

Meine eigene, obige Statistik ist in der Tat im Vergleich zur Branche überdurchschnittlich gut. (Und doch taucht die Frage auf, wie ich das noch verbessern könnte?). Ich werde bis Jahresbeginn einen Kurs erstellen, der sich zwar sehr gut auf die diesjährigen Neujahrvorsätze, aber sich ebenso gut auf jegliche Gewohnheits- und gewünschte Verhaltensänderung anwenden lässt. Unter anderem werde ich im Kurs die Ergebnisse aus 79 Studien mit 2.537 Teilnehmern beschreiben. Die Ergebnisse sind ziemlich überzeugend. Zumindest für mich:

37% verbesserten sich in sechs Gewohnheiten
65% verbesserten sich in vier Gewohnheiten
89% verbesserten sich in zumindest einer Gewohnheit
11% entwickelten keine Veränderung

Mehr Information über den Kurs werde ich nächste Woche veröffentlichen.

Bevor wir uns im Vorspiel des Kurses mit den Neujahrsvorsätzen auseinandersetzen, eine kleine Übung, sofern Sie wollen, für die Adventszeit. Im Stress, die neuen Vorsätze ins Auge zu fassen (und dann mit meiner 30-Tage-Challenge in 2018 umzusetzen) übersehen wir häufig, dass dies nicht unbedingt der erste Schritt ist, um Ziele und Verhaltensänderungen nachhaltig zu implementieren. Es ist wie beim GPS. Das bringt uns nur zum Ziel, wenn wir unseren aktuellen Standort wissen.

Der erste Schritt ist ausnahmsweise ein Schritt in die Vergangenheit (Vergangenheit lässt uns lernen, soll aber kein Übergepäck sein). Nehmen Sie sich die Zeit und reflektieren Sie über 2017, am besten mit Ihrem Lieblings-Schreibgerät und einem jungfräulichen Blatt Papier (Studien zeigen, dass handschriftliche Notizen die elektronischen links und rechts überholen). Hier ein paar Gedankenanstösse, jeweils bezogen auf 2017:

Auf was bin stolz?
Was habe ich besonders gut gemacht?
Was hat mich enttäuscht?
Was hat sich entwickelt wie vorgenommen?
Was hat mich überrascht?
Wie habe ich mich entwickelt?
Mein grösster Erfolg?
Meine grösste Niederlage?
Was wertschätze ich besonders (Mehrfachnennung erlaubt)?

Jetzt sind wir im Thema und haben uns warm gelaufen. Ohne zu entscheiden, sondern nur, um zu reflektieren (Umsetzung später). Die Antworten sind frei, geheim und anonym für sich selbst, ohne an mögliche Einschränkungen oder spezielle Umstände zu denken. Wenn ich die absolut freie Wahl hätte, was würde ich gerne:

⇒ KREIEREN

Kreieren ist die Königsdisziplin bei Gewohnheits- und Verhaltensänderungen. Wenn wir uns in unserer Vorstellung schon am Ziel sehen, dann fühlen wir uns gut und denken an die Inspiration, die mit unserem „Wieder-Erfinden“ Hand in Hand geht. Die Herausforderung hier ist, von innen für sich zu entscheiden und nicht, weil andere es für gut erachten.

Wenn wir mit unserem Leben zufrieden sind – nicht unbedingt glücklich oder enthusiastisch weil wir unsere wildesten Träume erreicht haben – genau dann führt diese Zufriedenheit oft zu Trägheit. Wir bleiben bei dem, was wir immer schon getan haben. Wir haben immer die Wahl, ein besseres Ich in uns zu schaffen, wie wir mit anderen umgehen, wie wir auf unser Umfeld reagieren und auf welche Stimuli wir unüberlegt, ohne Achtsamkeit reagieren. Alles was wir benötigen, ist der Impuls, unser besseres Ich zu erlauben.

⇒ KONSERVIEREN

Konservieren klingt passiv und mondän, aber nichtsdestoweniger, es ist eine Wahl. Es bedingt, die Seele zu durchforsten, um herauszufinden, was uns hilft und unterstützt – und die Disziplin, es beizubehalten – anstatt sich für Neues und Glänzendes zu entscheiden, was nicht notwendigerweise besser für uns ist. Wir fragen uns zu selten, „Was in meinen Leben ist es wirklich wert, beizubehalten?“ Eine Antwort auf diese Frage spart uns eine Menge Zeit und Energie. Schliesslich, je mehr es wert ist, beibehalten zu werden, umso weniger bedarf es der Veränderung.

⇒ ELIMINIEREN

Eliminieren bietet uns neue Freiheitsgrade, beinahe mit therapeutischer Wirkung – aber wir nehmen es nur zögerlich an – wie die Garage oder den Dachboden entrümpeln – vielleicht brauchen wir „ES“ noch einmal in der Zukunft. Wenn nichts eliminiert wird, dann setzen wir fort, was wir schon immer gemacht haben. Wir investieren nicht in unsere Zukunft und werden nie die Person, die wir sein wollen. In Peter Druckers Worten: „…die Zukunft auf dem heutigen Altar opfern.“ Gerade bei den Dingen, die wir geniessen, dürfen wir uns fragen: „Was sollte/werde ich eliminieren?“

⇒ AKZEPTIEREN

Als CEO in unserem Leben, wie in einem Unternehmen, sind die drei ersten Speichen des Rades klar. Kreieren ist innovativ, wie Risiken abwägen oder neue Gewinn-Center gründen. Konservieren meint, die Grundwerte des Unternehmens nicht aus den Augen zu verlieren und Eliminieren bedeutet, die unprofitablen oder nicht mehr passenden Bereiche zu schliessen oder zu verkaufen. Akzeptieren liegt auf einer anderen Ebene. Gute Nachrichten werden deutlich einfacher akzeptiert als schlechte. Wenn wir reflektieren, dann glaube ich, dass in Episoden des „Nicht-Akzeptierens“ häufiger nicht-gewollte Reaktionen entstehen – denn, das Akzeptieren fällt uns am schwersten, wenn wir „machtlos“ sind. Wenn meine exquisite Logik es nicht schafft, den Kollegen oder meinen Partner zu überzeugen, dann wird es gerne emotional, laut oder kommt gar zu Drohungen oder wir belächeln das Gegenüber – weil wir lieber gewinnen, als dass wir akzeptieren.

Die Antworten auf diese Fragen legen den Grundstein und helfen den Standort zu bestimmen. Dies hilft zwar noch nicht, Gewohnheiten nachhaltig zu ändern, aber es zeigt uns auf, dass wir wissen, was wir wollen. Gut gemacht. Obwohl der (Schweine-) Hund in der Umsetzung begraben sein mag, können wir ihn nur zum Freund erziehen, wenn wir verstehen, warum unser Hirn es uns so schwer macht. Ich verspreche Ihnen, wenn man erkannt hat, was da so alles im Hirn abläuft, basierend auf neurowissenschaftlichen Erkenntnissen, dann sind Gewohnheitsveränderungen einfacher umzusetzen, als Sie wahrscheinlich heute glauben. Einfach, aber nicht leicht. Um es leichter zu machen, nächste Woche Teil II mit dem Thema „Gewohnheit oder Sucht“.