Wenn unser Leben zu Ende geht, so hoffen wir, dass wir unser bestmögliches Leben gelebt haben. Wir werden nicht denken, super, ich hatte ein schnelles Leben oder die Anzahl der Likes auf unseren Instagram-Accounts zählen.

Nun ja, klingt komisch, trotzdem leben manche von uns auf diese Art und Weise. Das amerikanische Forschungsunternehmen Dscout analysierte fast 100 Android-Nutzer, indem es eine App auf ihren Smartphones installierte, die fünf Tage lang 24 Stunden am Tag jede Berührung registrierte.

Die Ergebnisse (übrigens von 2016) zeigten, dass die Nutzer durchschnittlich 145 Minuten pro Tag auf ihrem Smartphone verbrachten, aufgeteilt in im Mittel 76 Sitzungen. Wenn man alle Phone-Berührungen zusammenzählt, ergibt dies einen Durchschnitt von 2.617 Berührungen pro Tag. Der Partner kriegt weniger.

Aufgrund dieser Ablenkungen könnte auf unserem Grabstein stehen: „Ich habe versucht zu leben, aber ich wurde abgelenkt.“ Dieser Satz stammt aus Johann Haris Buch „Abgelenkt: Wie uns die Konzentration abhanden kam und wie wir sie zurückgewinnen„.

In diesem Bestseller der New York Times beschreibt Johann Hari – auch Autor des renommierten Buches „Chasing the Scream“ – wie er sich von einer Welt, die von elektronischen Geräten beherrscht wird und vom wirklichen Leben abgelenkt ist, gestört fühlte und sich deshalb zu einem dreimonatigen Aufenthalt ohne WLAN entschloss. Ohne ein internetfähiges Handy oder Laptop, um seine Sucht nach sozialen Medien auf einen Schlag zu überwinden. Er teilt Erkenntnisse aus dieser Erfahrung sowie erschreckende Forschungsergebnisse über die heutigen Schwierigkeiten, sich zu konzentrieren in seinem Buch. Für dich gelesen:

Kollektive Aufmerksamkeit

Hari behauptet, dass die Menschheit mitten in einer Aufmerksamkeitskrise steckt. Die Überflutung mit Informationen mindert die Fähigkeit der Menschen, sich zu konzentrieren oder dass sie komplexe Materien begreifen.

Der Schriftsteller James Baldwin sagte:

„Nicht alles, dem wir uns stellen, kann verändert werden.
Aber nichts kann geändert werden, bis wir uns ihm stellen.“

Diese Krise ist von Menschen gemacht und sie kann auch von uns gelöst werden.

Johan Hari

Hari zitiert eine Studie, die belegt, dass die kollektive Konzentration der Gesellschaft bereits lange vor dem Internetzeitalter abnahm, aber dass das Internet diese Abnahme stark beschleunigte. Wenn Menschen von Informationen überwältigt werden, kämpfen sie damit, komplexe Themen zu verstehen, weil der präfrontale Kortex des Gehirns Schwierigkeiten hat, irrelevante Informationen auszusortieren.

Schlafentzug

Hari berichtet, dass die Schlafdauer der Menschen im letzten Jahrhundert um 20 % abgenommen hat. Der Schlaf beseitigt Stoffwechselabfälle, die die Konzentration trüben, und das Träumen hilft den Menschen, die Emotionen des Wachlebens zu verarbeiten.

Die lebhaftesten Träume treten in der siebten oder achten Stunde eines Schlafzyklus auf, und immer weniger Menschen schlafen so lange. Konzentrationsprobleme bessern sich oft, wenn man genügend Schlaf bekommt.

Tagträumen

Hari plädiert dafür, dass du deine Gedanken schweifen lässt, um deine Konzentration wiederzuerlangen. Das Erkunden neuer Gedanken, frei von Ablenkungen durch elektronische Geräte, kann dir helfen, Verbindungen zwischen dem, was du siehst, liest und hörst, und deinen Erfahrungen zu entdecken.

Es kann auch kreative Problemlösungen fördern, sagt Hari. Tagträumen hilft auch dabei, Muster und Zusammenhänge zu erkennen. Wenn du jedoch gedankenlos im Internet surfst, kannst du dich weder konzentrieren noch deine Gedanken schweifen lassen.

Infinite Scrolling

Der Begriff „Infinite Scrolling“ bezeichnet ein scheinbar unendliches Scrollen. Dabei werden weitere Inhalte am Ende der Seite automatisch nachgeladen, sobald der Anwender zum Seitenende gescrolled hat. Beispiele für Websites auf denen Infinite Scrolling verwendet wird, sind unter anderem Twitter oder Facebook.

Die Art und Weise, wie unsere Technologie heute unsere Aufmerksamkeit untergräbt, war und ist eine Entscheidung des Silicon Valley und der Gesellschaft, die dies zulässt.

Johan Hari

Die süchtig machende Technologie erzeugt Verbraucher, die zunehmend Wut, Angst und Hass empfinden. Wenn sich Fake News in den sozialen Medien sechsmal schneller verbreiten als echte Nachrichten, sind die Menschen weniger gut gerüstet, um die Probleme der Welt zu lösen. Soziale Medien beeinträchtigen die kollektive Aufmerksamkeit des Einzelnen und der Gesellschaft.

Big Tech will, dass die Nutzer die Schuld für ihre verkürzte Aufmerksamkeitsspanne übernehmen. Die Tech-Industrie behauptet, dass Willenskraft, neue Gewohnheiten und hilfreiche Apps die Verbraucher in die Lage versetzen werden, ihre Bildschirmzeit zu verkürzen. Wenn diese Versuche scheitern, werden die Menschen nicht das System tadeln, sondern sich selbst die Schuld geben.

Ernährung und Schadstoffe

Hari erkennt an, dass die Tech-Industrie nicht der einzige Faktor ist, der die menschliche Aufmerksamkeit schwächt. Ein typisches westliches Frühstück – eine Schale Müsli und eine Scheibe Toast – enthält beispielsweise wenig Ballaststoffe und reichlich Zucker. Die Verbraucher erleben einen Zuckerrausch, gefolgt von einem Absturz, den viele mit dem Verzehr von noch mehr Zucker lösen.

Dieser Kreislauf aus Blutzuckerspitzen und -einbrüchen führt zu Energiemangel und Konzentrationsschwäche. Esse stattdessen frisches Fleisch, Fisch, Obst und Gemüse, um deine Konzentration zu steigern.

Auch Schadstoffe – Pestizide, Flammschutzmittel usw. – tragen zum Verlust der Konzentration bei, und der Mensch ist einer zunehmenden Zahl von Schadstoffen ausgesetzt. Das menschliche Gehirn kann die Fülle an Chemikalien, mit denen es täglich in Berührung kommt, nicht aufnehmen. Eine langanhaltende Belastung durch Luftverschmutzung schädigt die Neuronen des Gehirns.

ADHS

Hari legt Beweise dafür vor, dass ADHS bei 70-80 % der Betroffenen durch das Umfeld des Patienten und nicht durch eine biologische Störung verursacht wird. Anhaltender Stress ist der Auslöser für Angst, Schlaflosigkeit und ADHS. In solchen Fällen zielen ADHS-Medikamente auf die Symptome ab, ohne die eigentliche Ursache zu bekämpfen.

Kinder haben Bedürfnisse – und es ist unsere Aufgabe als Erwachsene,
ein Umfeld zu schaffen, das diesen Bedürfnissen gerecht wird.

Johan Hari

Hari warnt davor, Kindern zu viele ADHS-Medikamente zu verschreiben. Adderall und Ritalin sind süchtig machende Stimulanzien, die dem Methamphetamin ähneln; sie können das Wachstum der Kinder hemmen und Herzprobleme verursachen. Ärzte sollten die umweltbedingten Ursachen der Unaufmerksamkeit aufdecken – zum Beispiel Probleme im Elternhaus – und Stimulanzien nur als letztes Mittel verschreiben.

Kollektiver Wandel

Hari ruft zu kollektiven Veränderungen auf, um die von ihm genannten gefährlichen gesellschaftlichen Trends umzukehren. Er spricht sich für ein Verbot des Überwachungskapitalismus aus, der es Big Tech ermöglicht, Nutzerdaten zu verfolgen und zu sammeln.

Hari setzt sich für eine Vier-Tage-Woche ein, weil Menschen, die unter chronischem Stress und Erschöpfung leiden, sich nicht konzentrieren können. Als manche Unternehmen die Arbeitszeit reduzierten, ohne die Löhne zu kürzen, so Hari, schliefen die Arbeitnehmer mehr, hatten weniger Stress, nahmen weniger Krankheitstage in Anspruch und waren produktiver.

Vielen Kindern mangelt es an Spiel, Bewegung, nahrhaftem Essen und Lernen, das sie nicht langweilt. Die Gesellschaft braucht ein Umfeld, das die Gesundheit und das Wohlbefinden von Kindern fördert.

Fazit

Hari filtert seine Einsichten durch die Linse seiner These, der man kaum widersprechen kann und die, wie manche sagen würden, völlig offensichtlich ist.

Aber Hari geht noch weiter, indem er Ursache und Wirkung, die sozialen Medien mit der endemischen Polarisierung und die Gier der Unternehmen mit dem gesellschaftlichen Verfall in Verbindung bringt.

Glücklicherweise schreibt er mit einer poetischen Liebe zur Sprache, die seinen kraftvollen, zu Herzen gehenden Ideen Tiefe und Anmut verleihen.

PS: Dank an David Meyer für die Inspiration

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