Bild: Scott Warman – unsplash

Da sassen wir, beide ein Glas trockenen Verdicchio auf uns wartend. Bevor der Wein verdunstete, probierten wir ihn. Und dann, die Gläser waren halbvoll, zitierte Daniel die Aussage eines Mönches, nachdem ich ihm gesagt hatte, dass mir seine Wortwahl bei der Beschreibung eines unverständlichen Verhaltens eines Mitarbeiters „in meiner Welt“ gefallen hatte:

“Immer, wenn ein Mensch stirbt, stirbt gleichzeitig eine Welt!“

Sogleich war ich für die heutige SMSS inspiriert. Schon häufig haben mich Freunde und Kunden darauf aufmerksam gemacht, dass ich oft den Beisatz „in meiner Welt“ benutze. Der Grund ist einfach erklärt: In meiner Welt ist es so, dass wir unsere Realität, unsere eigene Welt, in unserem Kopf schaffen.

Unsere Welt besteht aus Glaubenssätzen, der Summe unserer Lebenserfahrungen, unserer Herkunft, unserem sozialen Umfeld und unseren unerlässlich schnatternden inneren Dialogen. Manche haben eine Welt mit einem kleinen, andere eine Welt mit einem weiteren Horizont im Kopf. Selbst unsere Emotionen, und da lassen wir die negativen länger im inneren Dialog kreisen, sind alle hausgemacht. Unsere stillschweigenden Vorannahmen, warum sich jemand wie verhalten hat, uns geärgert hat, unsere Interpretationen und unsere Reaktionen manifestieren sich immer nur in unserer Welt – ist also unsere Verantwortung – und häufig liegen wir da falsch. Das ist menschlich. Langjährige Freundschaften sind schon an kleinen Welten gescheitert.

Wir denken, da hat mich X geärgert und übersehen dabei, dass dies nicht möglich ist, denn die einzige Person, die Dich ärgern kann, bist Du selbst. Mit „da hat mich X geärgert“ übergebe ich, eventuell einer wildfremden Person weil sie mir die Vorfahrt genommen hat, die Macht über meine Gefühle. Diese Machtabgabe macht in meiner Welt keinen Sinn.

Du glaubst mir nicht? Macht nichts, ist Dein Glaubenssatz in Deiner Welt. Betrachten wir die Sachlage an einem neutralen Phänomen: an Stress. Fast jeder ist gestresst, liebäugelt mit Burnout und macht sich selbst schlechte Gefühle.

Ich beginne mit einer umstrittenen Aussage: Stress gibt es nicht.

Stell Dir eine Situation aus Deiner Vergangenheit vor, als Du „stressed out“ warst. Frage Dich, ob es eine Person auf der Erde gibt, die in der gleichen Situation nicht gestresst gewesen wäre. Gibt es wahrscheinlich.

Wohin ist der Stress bei dieser Person verschwunden? Hat sich einfach verabschiedet, war am Strand, zog sich aus, sprang in die Fluten und ward nie mehr gesehen? Vielleicht ist der Stress, den Du empfindest, eine Erfindung Deiner Vorstellung der Zukunft? Eventuell ist die Empfindung Deiner Vorstellung zu weit ausserhalb Deiner Komfortzone? Und doch, es ist immer die Interpretation einer Situation, nicht die Situation selbst, die Stress verursacht.

Beim Stress gilt das dritte Newtonsche Axiom von „actio“ und reactio“. In der mechanischen Physik finden beide gleichzeitig statt. Beim Stressentwickeln befindet sich zwischen Ursache und Wirkung ein Zwischenraum, in dem wir interpretieren, was die Ursache für uns bedeutet. Ohne Interpretation hast Du keinen Stress.

Manche Menschen argumentieren, dass dieser Zwischenraum zu kurz sei. Man also nichts tun kann, die Reaktion fest in unserem Hirn verdrahtet (hard wired) ist. Obwohl wir mit einigen „hard wired“ Stress-Reaktionen auf die Welt kommen, wie die Angst vor dem Fallen aus grosser Höhe und die Angst vor Unbekanntem, wenn wir uns automatisch ducken, weil es laut knallt, sind fast alle anderen Ängste gelernt.

Wenn ich über Stress in einer Gruppe referiere, stelle ich zu Beginn zwei Fragen:

Hebe die Hand, wenn Du Dich in den letzten paar Wochen in der einen oder anderen Situation gestresst gefühlt hast.

Meist hebt jeder im Raum die Hand. Die Folgefrage lautet:

Hebe die Hand, wenn Du dich in den letzten paar Wochen in der einen oder anderen Situation erschrocken, verängstigt oder Angst gefühlt hast.

Interessanterweise strecken sich deutlich weniger Hände in die Höhe. Angst hat man nicht. Doch in meiner Welt ist Stress Angst und die entsteht in unserem Kopf. Dies gilt zumindest für den Stress, den ich als Beispiel für „in meiner Welt“ meine.

„Stress im Beruf“ lässt sich in „Ich habe Angst, meinen Job zu verlieren und die Miete nicht mehr bezahlen zu können“ übersetzen. „Ich bin gestresst, weil ich diese Rede halten muss“ wird zu „Ich habe Angst, dass ich mich blamiere, dass die Zuhörer denken, ich bin ein schlechter Redner und sich anschliessend über mich lustig machen.“

Selbst bei einer Banalität wie „die laute Musik des Nachbarn stresst mich“ meint wahrscheinlich etwas wie „Ich bin skeptisch, besorgt, ängstlich, dass ich nicht gut schlafen kann. Dann bin auf der Arbeit daneben und mache die Buchhaltungsabteilung dem Erdboden gleich.“

Das nächste Mal, wenn Du deinen Freunden, deiner Familie oder der Welt im Allgemeinen mitteilen willst, dass du total gestresst bist, versuche doch mal folgende Variante:

„Ich fühle mich ängstlich, weil…“

Beobachte dann, ob diese Aussage Dein Empfinden verändert. Prüfe, ob es akzeptabel ist, permanent in Angst zu leben, so wie manche permanent in Stress leben. Wenn die Gefühle nicht die gleichen sind, ist es an der Zeit, den Mythos, dass chronischer Stress einkommensabhängig ist, über Bord zu werfen.

Wenn Du bereit bist zu akzeptieren, dass Du in Deiner Welt für Deinen Stress verantwortlich bist, dann ist dies der erste Schritt zur Veränderung. Wenn Dir das nicht gelingt, dann glaubst Du, in Deiner Welt, dass andere Menschen und Situationen für Dein Wohlbefinden verantwortlich sind. Dann hast Du Deine Verantwortung abgegeben und bist ein Opfer.

Das gilt für viele dieser unangenehmen Gefühle: Es passiert in Deiner Welt, dass Du Dich missachtet, verletzt, unfair behandelt, verlassen, einsam oder alleine fühlst. Wenn sich jemand wie der letzte Dreck behandelt fühlt, dann hat ER/SIE das Problem (in meiner Welt): Nicht das Verhalten des Gegenübers ist ein Problem. Jedes Gegenüber hat das Recht, sich so zu verhalten, wie er es für richtig hält. Seine Freiheit, wie die meine, endet da, wo die Freiheit eines anderen beginnt. Klar, für körperliche Gewalt und sonstige physischen Angriffe gilt das nicht. Es geht um die Gefühle, die wir in unserer Welt schaffen. Wenn mir das nicht passt, das Verhalten des anderen, dann ziehe ich die Konsequenzen – aber mache ihn nicht verantwortlich für meine schlechten Gefühle, die ich ja in meiner Welt entwickelt habe.

Anna Eleanor Roosevelt wäre gestern 48.888 Tage alt gewesen und hat das gesamte Thema in ihrem Zitat vor langer Zeit zusammengefasst:

„Niemand kann dich ohne dein Einverständnis dazu bringen,
dich minderwertig zu fühlen.“

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