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Können sich Tiere langweilen? Regenwürmer? Ich weiss es nicht. Höher entwickelte Lebewesen? Ich weiss nicht. Goethe hat sich dazu geäussert:

„Wenn die Affen Langeweile hätten, so würden sie Menschen werden.“

Es gibt viele Verächter der Langeweile. Martin Heidegger nannte die banale Langeweile, dass einem die Zeit lang wird, die Abgründe des Daseins. Der Heilige Benedikt postulierte das „ora et labora“, bete und arbeite. Nietzsche meinte, dass uns die Bedürfnisse zur Arbeit zwängen. Schopenhauer verstand unter der Langeweile eine Gefühlslage, die nur durchschnittliche Menschen ereilen würde, weil dem grossen Geist nie langweilig werde. Dieser erfreue sich vielmehr seines inneren Reichtums gerade dann, wenn er alleine sei.

Pascal, nach dem der Reifendruck und das Dreieck benannt ist, bedauerte bereits in seinen „Pensèes“, dass den Menschen das Vermögen verloren gegangen sei, Leere, Stille und Abgeschiedenheit auszuhalten; er sah darin die Ursache allen menschlichen Unglücks.

Wir können also auswählen, welcher Philosophie wir uns wie und nach unserem Gusto zuwenden. Nun, lege eine Lesepause ein, jetzt gleich, und überlege, wann du dich das letzte Mal gelangweilt hast. Nicht die banale Langeweile – sondern gelangweilt gelangweilt. Wann hast du dich diesem unruhigen Gefühl hingegeben? Dem Gefühl, das kunstvoll am Rande der Trägheit wartet?

Ich nehme an, da fällt dir spontan wenig ein. Langeweile ist ja eine Plage für uns und der Motor der permanenten Ablenkung tut sein Bestes, um sie zu verbannen. Podcasts lenken uns von der Tristesse des morgendlichen Pendelverkehrs und des Geschirrspülens (oder ein/ausräumen der Maschine) nach dem Abendessen ab. Nachts werden die TV-Shows endlos – nächste Episode in 4 Sekunden – angeboten und dann, natürlich, haben wir auch unsere Telefone. In der Gym verwundert es mich immer wieder, wie viele zwischen den Repetitionen entweder ein Selfie posten oder Facebook checken.

Wir sind so erzogen: Untätigkeit ziert sich nicht, es muss ständig etwas getan werden, um etwas wert zu sein. Wenn wir nichts tun, kann sich leicht eine innere Unruhe einstellen. Oft geht es uns nur um eine Tätigkeit als solche. Nach dem Motto: Der Weg ist das Ziel (was ja grundsätzlich nicht schlecht ist). Wir sind eben nicht gelangweilt.

Es ist wahrscheinlich gut,…

…ab und zu gelangweilt zu sein. Wissenschaftler haben festgestellt, dass Langeweile überraschende Vorteile mit sich bringt. Langeweile weckt unsere Vorstellungskraft und erhöht unsere Kreativität. Sich der Langeweile hingeben ist etwas Gutes.

Weil Langeweile eine tiefgreifende, wenn auch häufig übersehene, Rolle in Bezug auf Kreativität, Inspiration und Innovation spielt. Bevor wir tiefer gehen, eine kurze Exkursion, was Langeweile eigentlich ist.

Ein wissenschaftliches Papier aus dem Jahr 2012 zeigte auf, das eine akzeptable klinische Definition schwer zu finden sei. Die Autoren boten folgende Definition an:

„Die abstossende (unangenehme) Erfahrung, sich auf befriedigende Aktivitäten einlassen zu wollen, aber nicht in der Lage zu sein, dies zu tun.“

Wenn Wissenschaftler sich mit Langeweile auseinandersetzen, zwingen sie in der Regel die Teilnehmer an der Studie, äusserst eintönige Aktivitäten auszuführen. Würdest du gerne für 30 Minuten Telefonbuchnummern vorlesen, einen sich wiederholenden Bildschirmschoner endlos beobachten oder eine grosse Schale mit roten und grünen Bohnen mit einer Hand nach Farben sortieren? Genau dies mussten die Probanden in zwei Studien 2014 und kürzlich in einer in 2019 tun.

Ergebnisse

Alle drei Studien hatten das gleiche Ergebnis: Im Vergleich zu einer Kontrollgruppe zeigten die Personen, die gezwungen waren, mondäne Aufgaben auszuführen, in einer nachfolgenden, kreativeren Übung viel mehr Einfallsreichtum.

Die Telefonbüchler fanden interessantere Antworten, als sie gebeten wurden, neue Verwendungsmöglichkeiten für Plastikbecher zu finden. Die Bildschirmschoner-Beobachter reagierten bei einem Wortassoziationsspiel deutlich origineller. Die Bohnensortierer waren ausserordentlich kreativ, als es darum ging, passende Ausreden zu finden, die ein Zuspätkommen rechtfertigen.

Take away

Kunden verdrehen die Augen, wenn sie, wie bei einem Sprung in der Schallplatte, immer wieder von mir hören: „Slow down, to speed up!“

Warum liebe ich dieses Mantra? Nun, ich glaube, dass in der Ruhe Kraft und Kreativität liegt. Die wissenschaftlichen Studien oben erkläre ich für mich als Bestätigung. Für mich ist die Implikation klar: Die Erfahrung von Langeweile (bewusste Stille) setzt in uns eine innere mentale Spannung frei.

Nenne es wie du willst: Langeweile, Stille oder Nichtstun inspiriert uns, neues Terrain und neue Ansätze zu suchen, und zwar gerade dann, wenn es eben um uns herum banal wird. Dieses Nicht-Aktiv-Sein führt zum Erforschen, Varianten finden und zur Innovation.

Das ist einfacher gesagt, als getan. Unsere Aversion zur Langeweile (eine (lange) Weile in der Stille geniessen) ist tief in uns verankert. In einer 2014er Studie zeigte sich, dass 67% der Männer und 25% der Frauen sich lieber selbst einen elektrischen Schock gaben, als 15 Minuten alleine in einem Raum zu sitzen und nichts zu tun. Wen wir die Wahl haben, ziehen wir beinahe jede Stimulanz, selbst wenn schmerzhaft, stiller Kontemplation vor.

Und, stimuliert wirst du rechts, links, hinten und vorne und das 24/7: WhatsApp, SMS, Alerts, E-Mail etc. – und Langeweile, als tiefere Auseinandersetzung mit sich selbst – wird immer schwieriger zu finden.

Doch eigentlich ist Langeweile überall und ewig. Dass es sie nicht gibt, ist eine Illusion – nur schauen musst du, dann findest du sie. Betrachte Langeweile nicht als etwas, was es zu vermeiden gilt, sondern umarme sie, dann erkennst du überall ihr Potential:

Nimm die Kopfhörer aus dem Ohr, wenn du Laufen gehst und höre auf deinen Atem und/oder das Vogelgezwitscher. Packe dein Handy in der S-Bahn in den Rucksack und lasse deinen Blick über die Gesichter deiner Mitfahrer schweifen. Dein Geist braucht eine gewisse Stille, um rebellieren zu können.

Das hilft dir, dich zu verbessern, wenn du es zulässt.

Für den Denker und für alle erfindsamen Geister ist Langeweile jene
unangenehme „Windstille“ der Seele, welche der glücklichen Fahrt
und den lustigen Winden vorangeht.

Friedrich Wilhelm Nietzsche

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