NEIN ist das neue JA. Es ist die modischste Antwort für erfolgreiche Menschen. Vor zehn Jahren war es umgekehrt. Ein Besuch bei Amazon bestätigt dies: Yes!, Getting to Yes, The Power of Yes und The Answer to how is Yes. Heute sieht es bei der gleichen Quelle ganz anders aus: The Power of No! , How to say No Without feeling Guilty oder andere wie Say No to arthritis.

Trotz des Trends, leben wir in einer Kultur des “JA”. Wir wollen weder unseren Boss, Kollegen, Familienmitglieder noch Freunde enttäuschen, so sagen wir einfach „JA“. Oftmals sagen wir „JA“, wenn wir „NEIN“ sagen sollten. Wir wollen gefallen. Dieses Verhalten ist fest in uns verankert und oft ist das auch völlig in Ordnung. Und doch, wenn wir zu allem „JA“ und Amen sagen und wenn wir uns über-kommittieren, verbringen wir unsere Zeit mehr damit, Dinge abzuhaken, anstatt tatsächlich Werte zu schaffen.

Im Juni dieses Jahres erreichte „NEIN“ schliesslich Kultstatus. In einem Artikel der Harvard Business Review (HBR) erklärte ein Management-Coach, dass es nicht so einfach sei, „NEIN“ zu sagen, sodass wir beginnen sollten, jedes „NEIN“ zu zelebrieren.

NEIN zu zelebrieren ist wahrscheinlich gar nicht so doof. Im Rahmen meiner Abendroutine, wenn ich über meinen Tag reflektiere, nehme ich mir die Minute Zeit, um mir für jedes „NEIN“ auf die Schulter zu klopfen: „NEIN“, den Artikel muss ich heute nicht schreiben, „NEIN“ zum Chat mit dem Kollegen oder „NEIN“ zum Business-Lunch. Mir scheint, mit jedem „NEIN“ erhöht sich die Qualität des Tages. Natürlich nicht prinzipiell ein „NEIN“ um des „NEINs“ willen, denn manchmal ist „NEIN“ die falsche Antwort – und „NEINs“ beinhalten logischerweise auch die „NEINs“, die bei mir selbst ankommen. Das „NEIN“ zur Schokolade beim Nachmittagskaffee, das „NEIN“ die E-Mails alle paar Minuten zu checken (an meinem PC sind alle Pop-ups eliminiert), das „NEIN“, den Abend-pre-Dinner-Walk nicht ausfallen zu lassen.

Auf der Entrepreneur-Webseite im Artikel 4 Reasons why you should say No argumentiert der Autor unter anderem: „NEIN“ sagen ist gut, weil es Raum für untergebene Kollegen schafft. Das heisst, bestimmte Dinge am Arbeitsplatz zu delegieren, erlaubt, mehr Zeit mit der Familie oder sich selbst zu verbringen. Uns selbst (u.a. = über uns reflektieren) vernachlässigen wir gerne – oder, wann haben Sie sich das letzte Mal mit Ihrem „Persönlichen Entwicklungs-Plan (PEP)“ auseinandergesetzt?

Wir wollen am Arbeitsplatz gefallen (Wall Street Journal: Why Likeability Matters More at Work) und damit ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass wir häufiger „JA“ als „NEIN“ sagen.

Wir sagen „JA“, um andere nicht zu enttäuschen, und mit diesen vielen Zusagen enttäuschen wir uns und andere. Wir sind gestresst und fühlen uns, als ob wir keine Zeit hätten. Wann immer der Gedanke auftaucht, dafür habe ich keine Zeit, ist es an der Zeit, zu überprüfen, ob es Zeit ist, ein paar „NEINs“ zu kultivieren.

Der Hauptunterschied zwischen “JA“ und „NEIN“ ist, das eine fällt uns leicht und das andere ist schwierig.

„Gerade im Unternehmen liegt der Hund unter dem „JA-Sagen“ begraben: Wenn Mitarbeiter aus Gründen, um nicht negativ aufzufallen, sich zurückhalten und Projekte, von denen sie nicht überzeugt sind, nicht kritisch und mit einem möglichen „NEIN“ hinterfragen, dann gehen eventuell gute Ideen verloren, beziehungsweise es bleibt keine Zeit für sie. Ohne die Fähigkeit, „NEIN“ zu Low-Level-Aufgaben sagen zu können, um damit „JA“ zu bahnbrechenden Ideen zu sagen, bleibt die Innovation auf der Strecke“, sagt HBR.

Häufig, wenn die Autorin bei einer Firma mit starker „JA“–Kultur spricht, bittet sie die Mitarbeiter, die Augen zu schliessen und eine Hand zu heben, wenn sie derzeit an einem Projekt arbeiten, von dem sie nicht glauben, dass es erfolgreich sein wird – und/oder sein Ziel verfehlt. „Jedes Mal werden Hände in die Luft gestreckt. „Natürlich, strecken sie sie nicht gerade hoch hinaus: Sie wissen, es ist keine gute Idee, solch eine Meinung explizit von sich zu geben, aber es beschäftigt sie genug, um sich, zumindest mit geschlossen Augen, auszudrücken“.

JA versus NEIN

Zum Beispiel sind Zeitmanagement-Probleme sehr oft ein klares Anzeichen, dass zu wenig „NEIN“ gesagt wird. Also, das „NEIN“ ist ein wichtiges Führungsinstrument gerade im Unternehmen. Fängt natürlich oben beim CEO an und drippelt in die Unternehmenskultur – und wenn Sie der CEO für Ihr Leben sein wollen, dann nachfolgend ein paar Hinweise:

Viel wird gesprochen um die Kraft des „JA“. „JA“ bedeutet Mut zu Risiko, Offenheit für Neues, aber „NEIN“ – wie eine Betonwand, schliesst das Fenster zwischen einem selbst und dem Einfluss durch andere – wird selten im richtigen Licht gesehen, weil es leicht missverstanden werden kann und es uns so schwer fällt.

Es ist möglich, dass wir die Energie, die Stärke, die wir mit „NEIN“ gewinnen können, nicht erkennen wollen, weil „NEIN“ so leicht und häufig mit Negativität verwechselt wird. Beides mag sich durch abwenden, Kopf schütteln oder Widerspruch ausdrücken aber psychologisch betrachtet sind es zwei völlig unterschiedliche Status.

Negativität ist eine chronische Lebenshaltung, die Welt durch eine negative Brille zu sehen. Negative Menschen mögen den Enthusiasmus ihrer Umgebung minimieren und werden selten zu Aktionen inspirieren. „NEIN“ dagegen ist ein Moment der Wahl. Es vermittelt, wenn auch indirekt, eine Selbstbestätigung. „Dies unterschreibe ich nicht“ – weil es nicht ich bin. „Ich werde nicht in diesem Komitee bleiben, mit den Kindern helfen, dein Projekt begutachten“ – weil ich mich dabei nicht wohl fühle, weil ich mit dem nicht übereinstimme etc.

Das innere „JA“ oder „NEIN“ fühlen

Sarri Gilman erläutert in ihrer TEDx-Rede Good Bounderies Free You (Englisch, 15 Min) klar: „Jeder ist in der Mitte (s)einer Lebensgeschichte. Und diese Geschichte ist geprägt dadurch, zu was wir „JA“ und zu was wir „NEIN“ sagen. „JAs“ und „NEINs“ sind Grenzen, die wir setzen.“ Unsere Grenzen, so meint sie, können wir, metaphorisch als inneren Kompass betrachten. Dieser Kompass hat zwei Worte als Inschrift: „JA“ und „NEIN“.

Wir alle haben tiefer in uns die Weisheit, welche uns intuitiv mitteilt, wenn etwas ein „JA“ oder ein „NEIN“ ist. Das Problem entsteht dann, wenn wir diese Stimme ignorieren oder mit ihr argumentieren. Wenn Ihnen Intuition eher als Fremdwort vorkommt, dann ist es richtig, sich zu trainieren, um zu erkennen, in welcher Stimmung man sich in einem bestimmten Moment befindet. Achtsamkeits-übungen und Meditation sind geeignete Tools.

Die Reaktion der anderen respektieren

Gilmas sagt: „Wenn man auf die inneren „JAs“ und „NEINs“ hört, dann mag das andere Menschen ärgern oder enttäuschen. Grenzen setzen entfesselt Emotionen“. Grenzen für sich/für andere zu setzen wird nicht immer zu positiven Reaktionen führen, aber Grenzen unterstützen in der Tat längerfristig, bessere Beziehungen zu entwickeln. Wenn man seine persönlichen Grenzen nicht respektiert (vielleicht aus Angst vor der Reaktion des Gegenübers), dann führt dies über kurz oder lang wahrscheinlich zu Bitterkeit und Ressentiment mit sich selbst. Die Menschen, die wir um uns herum haben wollen, sind jene, die unsere Grenzen respektieren, selbst dann, wenn sie sich zu Beginn ärgerlich oder enttäuscht fühlten.

Um sich selbst kümmern

Egal wie, die wichtigste Person in unserem Leben sind Sie selbst. Wie im Flugzeug, zuerst die eigene Sauerstoffmaske aufsetzen, bevor man anderen hilft. Wenn man Anderen Mitgefühl geben will, ist es entscheidend, dass man das gleiche Mitgefühl für sich selbst anwendet. Sich um sich selbst kümmern, also zu manchem „NEIN“ zu sagen, hilft, zu entspannen, lädt die Batterien wieder auf und man wird mehr eins mit sich. Es bietet sich an, diese Auszeit im Kalender zu planen.

Warum sind Grenzen wichtig?

Grenzen setzen mag nicht einfach sein aber es ist ein wesentlicher Bestandteil für gesunde Beziehungen und dem Gefühl des Wohlbefindens. Es lohnt sich, daran zu denken, wenn man „NEIN“ sagen sollte, denn es bedeutet letztendlich persönliche Freiheit und gibt Zeitfenster, in denen man sich mit den Dingen auseinandersetzt, die einem wirklich wichtig sind und weiterbringen. Mit sinnvollen Grenzen gibt es weniger Stress und wir folgen unserer Leidenschaft und unserem Lebenssinn. Gilman erklärt, dass sie in ihrer Arbeit als Psychotherapeut gelernt hat, dass Grenzen falsch oder nicht zu setzen, die Ursache vieler Beziehungsprobleme, dem Unglücklichsein und vieler Konflikte ist.

„NEIN“ ist der Anfang

Chris Voss (FBI Negotatiator von 1986 bis 2007), widmet in seinem Buch Kompromisslos Verhandeln (engl. Originalausgabe: Never Splitt the Difference) dem „NEIN“ ein ganzes Kapitel. Es lässt sich mit unserem so menschlichen Bedürfnis nach Autonomie erklären: Wenn wir dem anderen die Autonomie zugestehen, dass er „NEIN“ zu unseren Ideen sagen darf, dann bleiben die Emotionen unter Kontrolle, die Effektivität der Diskussion verbessert sich. Grossartige Verhandlungsführer suchen das „NEIN“, weil sie wissen, dass mit einen „NEIN“ die eigentliche Verhandlung erst beginnt.

Eine der wichtigsten Eigenschaften einer Führungskraft – damit meine ich tatsächlich für jeden (sind wir doch Führungskraft, CEO in unserem Leben) – kann lernen, wie und wann man „NEIN“ sagt. Wenn wir in der Lage sind, selbstbewusst von opportunen Gelegenheiten, die keinen Wert für uns haben, cool und überlegt wegzulaufen, dann finden wir und haben wir die Zeit für das „JA“ genau für jene Dinge, die die Welt verändern.

„JA“ ist einfach, benötigt weniger Charakter, Kommittment und Mut. „NEIN“ sagen fällt mit zunehmendem Alter leichter: Ich war wirklich nicht gut im „NEIN“ sagen, will heute jedoch ein Meister darin werden, deshalb bin ich täglich am Trainieren und Verbessern. Und, „JAs“ und „NEINs“ sind nicht singulär. Jedes „JA“ beinhaltet immer ein „NEIN“ für etwas anderes und umgekehrt. Also, gerade jene „NEINs“, die uns so schwerfallen, können wir als „JA“ für unsere Weiterentwicklung und für unsere Grundwerte betrachten.

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