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Wie man Aufgaben trennt

Philosoph:

Sagen wir, da ist ein Kind, das Probleme mit dem Lernen hat. Es passt im Unterricht nicht auf, macht keine Hausaufgaben und vergisst sogar seine Bücher in der Schule. Was würden Sie denn tun, wenn Sie sein Vater wären?

Junger Mann:

Na ja, ich würde natürlich alles tun, was mir einfallen würde, damit es sich anstrengt. Ich würde Nachhilfelehrer anheuern und es zu einem guten Lehrinstitut schicken, selbst wenn ich es an den Ohren dorthin zerren müsste. Ich würde sagen, das ist eine elterliche Pflicht. Und so bin ich tatsächlich auch selbst erzogen worden. Bevor die Hausaufgaben nicht fertig waren, bekam ich kein Abendbrot.

Philosoph:

Dann lassen Sie mich eine andere Frage stellen. Haben Sie durch diese drakonische Erziehung gelernt, dass Studieren Spaß macht?

Junger Mann:

Leider nicht. Ich habe mich nur routinemäßig um meine Aufgaben für die Schule und für die Prüfungen gekümmert.

Philosoph:

Verstehe. Gut, ich betrachte das einmal von den Grundvoraussetzungen der Adler’schen Psychologie aus. Wenn man zum Beispiel mit der Aufgabe des Lernens konfrontiert ist, fragen wir aus der Perspektive Adlers: Wessen Aufgabe ist das?

Junger Mann:

Wessen Aufgabe?

Philosoph:

Ob das Kind lernt oder nicht. Ob es rausgeht und mit seinen Freunden spielt oder nicht. Eigentlich ist das die Aufgabe des Kindes, nicht die der Eltern.

Junger Mann:

Meinen Sie, es ist etwas, was das Kind machen sollte?

Philosoph:

Ganz einfach ausgedrückt, ja. Es hätte keinen Sinn, wenn die Eltern lernten und nicht das Kind, oder?

Junger Mann:

Hmm – nein, natürlich nicht.

Philosoph:

Das Lernen ist die Aufgabe des Kindes. Wenn die Eltern so vorgehen, dass sie dem Kind befehlen zu lernen, ist das im Grunde ein Akt der Einmischung. Man kann auf diese Weise kaum einen Konflikt vermeiden. Wir müssen immer im Blick haben, um wessen Aufgabe es geht, und ständig die eigenen Aufgaben von denen der anderen trennen.

Junger Mann:

Und wie stellt man es an, die Aufgaben zu trennen?

Philosoph:

Man mischt sich nicht in die Aufgaben anderer Menschen ein. Das ist alles.

Junger Mann:

Das ist alles?

Philosoph:

Im Allgemeinen werden alle Beziehungsprobleme dadurch verursacht, dass man sich in fremde Aufgaben einmischt oder zulässt, dass sich andere in die eigenen einmischen. Eine Aufgabentrennung durchzuführen genügt, um die zwischenmenschlichen Beziehungen dramatisch zu verändern.

Junger Mann:

Hmm. Ich verstehe das noch nicht ganz. Zuerst einmal: Wie kann man entscheiden, um wessen Aufgabe es sich handelt? Aus meiner Sicht ist es realistischerweise die Pflicht der Eltern, ein Kind zum Lernen zu bewegen. Denn kaum ein Kind lernt aus Vergnügen, und letztendlich sind die Eltern gesetzlich verantwortlich für das Kind.

Philosoph:

Es gibt einen einfachen Weg, wie man bestimmen kann, wessen Aufgabe es ist. Fragen Sie sich: Wer erhält am Ende das Resultat, das sich aus der Entscheidung ergibt? Wenn das Kind sich entschieden hat, nicht zu lernen, wird das Endresultat – im Unterricht nicht mitzukommen oder nicht auf die gewünschte Schule gehen zu können zum Beispiel – schließlich nicht die Eltern treffen. Es ist ganz klar das Kind, das die Konsequenzen tragen muss. Mit anderen Worten: Das Lernen ist die Aufgabe des Kindes.

Junger Mann:

Nein, nein. Sie liegen völlig falsch! Die Eltern, die mehr Lebenserfahrung haben und außerdem juristisch verantwortlich sind, müssen das Kind zum Lernen anhalten, damit solche Situationen nicht entstehen. Das geschieht zum Wohle des Kindes und ist keine Einmischung. Wenn auch das Lernen selbst Aufgabe des Kindes sein mag, so ist es die Aufgabe der Eltern, es dazu zu bringen.

Philosoph:

Es stimmt, dass man Eltern heutzutage oft sagen hört: «Das ist zu deinem eigenen Besten.» Doch sie handeln ganz klar, um ihre eigenen Ziele zu erreichen, die etwa darin bestehen mögen, in den Augen der Gesellschaft gut dazustehen, sich wichtig zu machen, Kontrolle auszuüben zum Beispiel. Mit anderen Worten: Es geht nicht um das Wohl des Kindes, sondern um das der Eltern. Und weil das Kind diesen Betrug riecht, rebelliert es.

Junger Mann:

Meinen Sie damit, selbst wenn das Kind überhaupt nicht lernt, soll ich es einfach in Ruhe lassen, weil es um seine Aufgabe geht?

Philosoph:

Man muss achtgeben. In der Psychologie Adlers wird nicht empfohlen, sich nicht einzumischen. Nichteinmischung entspricht der Haltung, nicht wissen zu wollen und sich nicht einmal dafür zu interessieren, was das Kind tut. Stattdessen hilft man dem Kind gerade durch das Wissen darüber, was es tut. Wenn es ums Lernen geht, sagt man ihm, dass dies seine Aufgabe ist, und macht ihm klar, dass man es unterstützt, wann immer es selbst lernen möchte. Aber man darf sich nicht aufdrängen. Wenn keine Bitten kommen, wäre es nicht richtig, sich ungefragt in die Aufgaben des Kindes hineinzudrängen.

Junger Mann:

Gilt das auch über die Eltern-Kind-Beziehung hinaus?

Philosoph:

Ja, natürlich. In der Beratung nach der Psychologie Adlers zum Beispiel glauben wir nicht, dass es in der Verantwortung des Beraters liegt, ob der Klient sich verändert oder nicht.

Junger Mann:

Was sagen Sie da?

Philosoph:

Was für einen Entschluss fasst der Klient, nachdem er die Beratung in Anspruch genommen hat – seinen Lebensstil zu ändern oder nicht? Das ist die Aufgabe des Klienten, und der Berater darf dort nicht eingreifen.

Junger Mann:

Ausgeschlossen, so eine verantwortungslose Haltung kann ich nicht akzeptieren!

Philosoph:

Natürlich gibt man Unterstützung, wo man nur kann. Aber darüber hinaus greift man nicht ein. Es gibt den Spruch: «Man kann ein Pferd zur Tränke führen, aber saufen muss es selbst.» Bitte denken Sie daran, dass die Beratung und alle anderen Hilfestellungen in der Adler’schen Psychologie diesen Grundsatz befolgen. Eine Veränderung zu erzwingen, während die Intentionen desjenigen, um den es geht, missachtet werden, kann nur zu einer heftigen Reaktion führen.

Junger Mann:

Der Berater verändert nicht das Leben des Klienten?

Philosoph:

Sie selbst sind der Einzige, der Sie verändern kann.

 

Kishimi, Ichiro. Du musst nicht von allen gemocht werden: Vom Mut, sich nicht zu verbiegen (German Edition) (pp. 144-148). Rowohlt E-Book. Kindle Edition.

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