Niemand wird als Skeptiker geboren. Kinder allerdings, bevor es ihnen vergrault wird, sind wie Wissenschaftler. Sie lieben es, Wissen aufzusaugen, zu entdecken, zu experimentieren und wollen verstehen. Sie lernen mit Freude und Hinterfragen.

Im Laufe der Zeit, als wir dann älter wurden, lernten wir nicht alles zu glauben, was uns angeboten wurde und wir entwickelten einen Teil in uns, den wir Skeptiker nennen.

Nun, es könnte sein, dass wir uns selbst gegenüber vielleicht ab und zu skeptischer sein sollten.

Wir leben in unserer Welt von selbstgeschafften Überzeugungen, die wir in der Regel nicht immer überprüft haben. Wir nehmen etwas wahr, versuchen es uns zu erklären, treffen Annahmen, fällen Urteile und übernehmen Weisheiten, die im Laufe der Zeit unser gesunder Menschverstand geformt hat:

Zum Beispiel, wen du dich verbrannt hast, denn lege etwas Eis auf die Verbrennung.

Tatsache ist, Eis verlangsamt den Heilungsprozess und kann zu einer Kälteverbrennung führen. Besser ist es, mit Wasser zu kühlen.

Unsere Erfahrungen beeinflussen, wie wir die Welt heute wahrnehmen. All das geht schnell und automatisch und unwillkürlich, meistens ohne, dass wir es überhaupt mitbekommen. Ausserdem ist all das, was in uns zu einem Ergebnis führt, selbstverständlich wahr, denn

  1. unsere Glaubenssätze sind wahr;
  2. die Wahrheit unserer Schlussfolgerungen ist offensichtlich;
  3. unsere Annahmen basieren immer auf realen Daten und
  4. die Daten, die wir wahrgenommen haben, sind die Wirklichkeit.

Aber wie wahr ist das, was wir für wahr halten, eigentlich? Nach dem Modell der «ladder of inference» (die Schlussfolgerungsleiter) des Harvard-Professors Chris Argyris, laufen in unserem Gehirn, wann immer wir in der Welt um uns herum etwas beobachten, in schneller Folge die 7 unten beschriebenen Schritte ab.

Diese 7 Stufen durchläuft unser Hirn täglich tausende Male, meist ohne dass wir das mitbekommen. Dabei kann es gelegentlich passieren, dass wir zu Ergebnissen kommen, die es wert wären, hinterfragt zu werden.

Die 7 Schritte

Wahrnehmung: Dein Gehirn konstruiert mit den Reizen, die es über die Sinneskanäle (sehen, hören, fühlen, schmecken, riechen) aufnimmt, eine subjektive Realität. Diese Wahrnehmung ist schon geprägt durch deine Lebenserfahrung. Aber noch steht nichts im Vordergrund oder hat Bedeutung.

Filtern und Selektion: Jetzt fängt es an zu rattern und auf der Basis deiner früheren Erfahrungen und deiner momentanen Filtereinstellung (u.a. Stimmung) wird der grössere Teil dieser Datenflut verworfen (… das ist gut so, sonst kämen wir zu gar nichts) und auf andere einzelne Daten richtest du deine Aufmerksamkeit und stellst sie in den Vordergrund.

Interpretation: Dein Gehirn nimmt diese gefilterte Information und ordnet sie kulturellen und/oder individuell geprägter Regeln zu, um das Wahrgenommene zu verstehen und zu interpretieren, was es denn für dich bedeutet.

Beurteilung: Nun beginnst du Annahmen auf der Grundlage deiner Interpretation zu entwickeln. Du erzählst dir Geschichten, um das Wahrgenommene in einen für dich schlüssigen und verstehbaren Zusammenhang einzubetten – dabei werden die „Fakten“ gerne mit Fantasie ergänzt.

Schlussfolgerung: Auf Grundlage der Geschichte, die du jetzt konstruierst hast, kommst du zu Schlussfolgerungen, die zu emotionalen Reaktionen führen können.

Überzeugungsbildung: Du hast deine Einstellung und dein Urteil über die Situation oder Sachlage gefällt – und hältst sie natürlich, wie alles andere vorher, für wahr.

Handlung: Jetzt triffst du Entscheidungen und handelst – typischerweise mit dem starken Gefühl im Recht zu sein.

Die reflexive Schleife: Der 6. Schritt, die Überzeugungsbildung, wird auf zukünftige Filter einen Einfluss haben.

Die Leiter in Aktion

Trevor Maber beschreibt im TED-Talk «Rethinking thinking” den Sachverhalt in einer Geschichte:

Stell dir vor, du bist mit dem Auto auf dem Weg zum Einkaufen, hast einen freien Parkplatz vor dir und willst gerade einparken. Plötzlich kommt jemand angerast und schnappt dir vor deiner Nase deinen Parkplatz weg. Was läuft nun in dir nach dem Modell der „ladder of inference“ ab?

Zunächst mal sind da ganz viele Sinnesreize, die du wahrnimmst, noch steht nichts im Vordergrund und nichts hat Bedeutung. Der Sonnenschein, das Vogelgezwitscher, das Werbeplakat, das andere Auto …

Dann wird der Filter Stufe 2 aktiv: Wen interessiert, dass die Sonne scheint und die Vögel zwitschern? Das 50%-Rabatt-Schild bei deinem Lieblingsladen ist bedeutungslos. Stattdessen nimmst du das andere Auto wahr, deine Hände, die das Lenkrad kräftiger umklammern, du fühlst, wie dein Blutdruck steigt, hörst das Quietschen deiner Bremsen und siehst den Gesichtsausdruck des anderen Fahrers, der den Blick schnell abwendet.

Zeit für Sprosse 3: Dir haben deine Eltern schon beigebracht, dass es anständig ist, zu warten, bis man dran ist. Die Regel, «Wer zuerst kommt, mahlt zuerst!», ist dir in Fleisch und Blut übergegangen. Und jetzt kommt dieser Typ, drängelt sich vor und klaut dir deinen Parkplatz!

Be- (Ver-) urteilung 4: «Was für ein ungehobelter Idiot», könntest du denken. «Dem haben seine Eltern wohl nichts beigebracht! Der hätte mich doch sehen müssen. Wahrscheinlich passt der nie auf. Oder er hält sich für was Besseres.»

Schlussfolgerung (5): Ganz klar, der Flegel ist ein rücksichtsloser Egoist, wird Zeit, dass dem mal jemand die Meinung sagt. Du fühlst dich sauer, ärgerst dich und bist frustriert. Ausserdem bist du im Recht!

Überzeugungsbildung (6): Das passiert mir nicht nochmal. «Das ist das letzte Mal, dass ich klein beigebe!» Beim nächsten Mal wirst du Gas geben und dir die Parklücke sichern.

Handlung (7): Du schreitest zur Tat. Du stellst dich direkt hinter ihm, hupst, kurbelst die Scheibe runter und schreist einige wohlgewählte Worte in seine Richtung …

Der ungehobelte Mitmensch kommt hastig auf dich zu und entschuldigt sich. Seine Frau, im neunten Monat schwanger, hatte ihn angerufen, um ihm mitzuteilen, dass die Wehen eingesetzt haben und sie nun dringend ins Krankenhaus muss.

Du nimmst die Situation nach einem Sekundenbruchteil jetzt anders wahr, und nun ist es dir unangenehm, dass du eben noch so sauer warst. Denn nun nimmst du durch die wenigen ausgetauschten Worte die Welt und die Leiter des anderen Fahrers wahr.

Die Sprossen, die du für dich gebildet hattest (Selektion, Interpretation, Beurteilung, etc.) sind nun nicht mehr stimmig.

Fazit

Wir haben diese einzigartige menschliche Eigenschaft des freien Willens. Wenn du das nächste Mal auf etwas reagierst, könntest du deine Leiter untersuchen. Du könntest dich fragen, welche Glaubenssätze tauchen von woher auf. Welche Daten und Informationen hast du aufgrund deiner Überzeugungen (raus-) gefiltert und warum? Sind deine Annahmen triftig und von Tatsachen gestützt?

Würden andere Annahmen andere Gefühle und Emotionen wecken und somit vielleicht zu besseren Schlussfolgerungen und Handlungen führen?

Wir haben unsere eigene Leiter, und jeder andere hat seine.

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