Neues Jahr, neues Glück, neues Ich? Alle Jahre wieder. „Wie man seine Neujahrsvorsätze einhält“, „Die zehn beliebtesten Vorsätze“: Die Medien, wie jedes Jahr kurz vor dem Jahreswechsel, voll von Umfragen und Psychologen-Interviews dieser Art. Statistiken werden veröffentlicht – glücklicherweise ist Papier geduldig.

Angeblich, so eine Statistik, genießen in Deutschland rund 60 Prozent der Menschen diesen Moment der Selbstreflexion am Jahresende und fassen Vorsätze für das neue Jahr. Der Rest, so behaupte ich, hat entweder wegen der oft nicht erlebten Erfolgsquote aufgegeben oder hält seine Wünsche für sich geheim.

Ich glaube, dass es ein Ritual ist, diese vergangene Statik und Gleichförmigkeit des Lebens einmal im Jahr, als Zäsur des Silvesterabends oder des Neujahrstages, in Frage zu stellen. Es ist Tradition, Bilanz zu ziehen und die immer gleichen Vorsätze – mit dem Rauchen aufzuhören, gesünder zu leben und mehr Sport zu treiben, mehr Zeit für die Familie zu haben, sparsamer zu leben, Handy und Fernseher öfter auszuschalten usw. – als Korrekturwünsche vor sich hin zu murmeln. Ein Ritual wie das Bleigießen: ergreifend und verlässlich, am nächsten Abend, spätestens Ende Februar, völlig vergessen. Da sind die Slogans und Überschriften auf den Titelseiten der Zeitschriften: „Fit in Rekordzeit“, „Mit Spaß und Genuss zur Traumfigur“ oder „12 Tipps für besseren Sex“. Die Fitnessstudios haben ihren besten Neu-Mitglieder Monat. Der Imperativ ist klar: „Ändere dich!“

Und das Ergebnis? Eher mittelmäßig, würde ich vermuten. Insofern sind Silvestervorsätze nichts anderes als der Versuch, das eigene Leben im Nu zu verändern. Vielleicht eine Erholungsmaßnahme – einer der Momente im Jahr, in denen man ehrlich zu sich selbst ist und sich die gefühlten Unzulänglichkeiten eingestehen darf, quasi als Sprachübung.

Im Prinzip gut, würde Radio Eriwan sagen, aber es bringt nicht viel. Warum nicht? Weil wir uns gerade maßlos überschätzen. Wir sind so optimistisch, was unsere Umsetzungsfähigkeit anbelangt,, unterschätzen unseren inneren Schweinehund und die an sich gesunde Auseinandersetzung mit uns selbst geht ab dem 2. Januar wieder im Tagesgeschäft unter – wie im Klassiker „Dinner for One – same procedure as every year, James“.

Jeder Vorsatz ist zunächst nichts anderes als der Wunsch, etwas zu ändern. Nach dem Wunsch kommt das Ziel. Wunsch und Ziel werden oft schon in der Formulierung verwechselt. „Ich will/muss abnehmen“ ist kein Ziel, sondern ein Wunsch, ein Traum – und ziemlich bescheiden formuliert.

Ziele werden erreicht, wenn sie in kleine, verdauliche Schritte zerlegt werden, wenn sie Handlungsziele sind, also etwas Messbares beinhalten und zum Prozess werden: Um bis zu meinem Geburtstag abzunehmen, werde ich dreimal die Woche Sport treiben, täglich meine verbrauchten Kalorien notieren, nicht mehr als 40 Gramm Kohlenhydrate zu mir nehmen – oder Aktionsziele, Prozesse planen und umsetzen, an die man glaubt. Aber das eigentliche Ziel ist nicht, Gewicht zu verlieren. Das eigentliche Ziel ist, die momentane Befriedigung (Schokoriegel) im Hinblick auf das Metaziel (länger und gesünder zu leben), nicht zu befriedigen.

Wenn Veränderung so einfach mit einem Wortspiel an Silvester zu erreichen wäre, dann gäbe es dieses Ritual vermutlich gar nicht. Man ändert sein Verhalten nicht durch fünf Minuten Nachdenken. Veränderung von Gewohnheiten ist nicht einfach und selbst die Wissenschaft bestätigt, dass unser Reptiliengehirn gegen Veränderung ist.

Was dann?

Hinter den Neujahrsvorsätzen steckt viel mehr. Letztlich die Frage: „Was will ich, was ist mir wichtig, was will ich (ver-)ändern?“

Am Anfang könnte ein Jahresrückblick stehen:

Welche Themen (wie ein Filmtitel) tauchen im Rückblick für mein 2023 auf?

Was habe ich geschaffen?

Was habe ich eliminiert?

Was habe ich akzeptiert?

Was will ich behalten?

Und dann der Blick nach vorne:

Was sind meine Themen für 2024?

Was werde ich schaffen?

Was werde ich eliminieren?

Was werde ich akzeptieren?

Was werde ich beibehalten?

Diese Fragen, rückblickend und vorausschauend, lassen sich kaum in fünf Minuten nebenbei beim Bleigießen beantworten. Im Unternehmen, als CEO, wird jedes Jahr ein Jahresplan erstellt und nicht erst in der Silvesternacht. Was hindert uns als CEO (für unser Leben natürlich) daran, das nächste Jahr zu planen?

Tun. Oder nicht. Es gibt kein Versuchen.

Yoda

Wenn wir planen wie ein CEO, entscheiden wir, was wir in unserem Leben tolerieren wollen. Wir legen den Titel (Thema) für die 18. Staffel der Serie „Mein Leben“ fest. Die Staffel hat 52 Episoden von Januar bis Dezember und wird wöchentlich ausgestrahlt, mit sieben Tagen dazwischen zum Nachdenken.

Wir sind Drehbuchautor, Regisseur und Hauptdarsteller in einer Person. Das ist anspruchsvoll. Wie macht man das?

Nun, mit einem Plan. Mit Strategiesitzungen: Teilnehmer sind Autor, Regisseur und Hauptdarsteller. Wird es ein Krimi, ein Dokumentarfilm, ein Drama, Science-Fiction, eine Liebesgeschichte, ein Thriller oder ein Horrorfilm? Wie sieht das Budget aus? Wo wird gedreht?

Dann geht es an die Umsetzung. Monatsplan, führt zum Wochenziel und führt zum Tagesziel. Die Rollen für Vater, Mutter, Sohn, Tochter, Beruf, Gesundheit, persönliche Entwicklung, Freundschaften, Liebhaber, Chef, Kollegen usw. müssen festgelegt werden. Jeden Tag gibt es MITs (Most Important Task), die erledigt werden wollen, damit die Saison ein Erfolg wird.

Der Jahresurlaub wird stunden- und tagelang geplant, selbst die Einkaufsliste für die Feiertage wird schriftlich festgehalten. Und wo ist die schriftliche Jahresplanung für mich? Verpackt in drei bis fünf Neujahrsvorsätze? Ist es nicht an der Zeit, mein Drehbuch für 2024 zu schreiben? Was ist mir wichtig und was gibt mir Sinn für 2024? Was ist stimmig für mich? 2024 ist eine Staffel von ca. 83 (= statistische Lebenserwartung), die wir insgesamt produzieren wollen. Ohne Drehbuch – für mich auf keinen Fall.

Kluge Menschen wählen die Erfahrungen, die sie machen wollen.

Aldous Huxley

Ich wünsche dir jedenfalls vor allem Gesundheit für 2024 – mit der Quersumme 8.