Bild: Jordan Davis – unsplash

Mit dem Bewusstsein ist das so eine Sache: Ursprünglich als Wort aus dem Lateinischen conscienta von Christian Wolff (1679-1754) geprägt, bedeutet es im weitesten Sinne das Erleben mentaler Zustände und Prozesse. Eine wirkliche Definition des Begriffes ist aufgrund des unterschiedlichen Gebrauchs des Wortes kaum möglich.

Es gibt (und bei weitem nicht vollständig) zum Beispiel Unterschiede zwischen Bewusstsein, Selbstbewusstsein und sich selbst bewusst zu sein. Philosophen, Neurowissenschaftler und Naturwissenschaftler beschäftigen sich gerne mit dem Thema, ohne wirklich Licht ins Dunkle zu bringen. Das wird auch mir nicht gelingen. Wir wissen noch zu wenig. Auf einer einfacheren Stufe mag es interessant sein, sich mit dem zu beschäftigen, was es braucht, um dem Bewusstsein näher zu kommen:

Ich meine die Begriffe Aufmerksamkeit, Achtsamkeit und Gewahrsein. Die Endsilbe –keit lässt uns für die ersten beiden Begriffe erkennen, dass diese Substantive (Nomen) aus Adjektiven abgeleitet wurden. Sie beschreiben eine Eigenschaft, während im Gewahrsein das Wort sein steckt.

Bei Google gesucht, ergeben sich aktuell für Aufmerksamkeit (66 Millionen), Achtsamkeit (12 Millionen) und Gewahrsein (177 Tausend) unterschiedliche Ergebnisse. Da ich ein Freund der unbestimmten Hauptwörter bin, mich ihre Vielfalt der Interpretation interessiert, heute meine Gedanken zu diesen Begriffen.

Am Anfang war die Aufmerksamkeit

Aufmerksamkeit bedeutet für mich die Zuweisung von (beschränkten) Bewusstseins-Ressourcen auf Inhalt, überwiegend ausserhalb von mir. Aufnehmen, was um mich herum existiert – nicht nur sehen, sondern bewusst registrieren und beobachten, was passiert oder existiert. Zwischenbemerkung mit Dank an die Leserin A.S.: Da verwechseln wir gerne registrieren mit realisieren.

Was ich meine ist, was mein Freund Sherlock Holmes mit „You see, but do not oberserve“ zum Beispiel hier (2:16) lebt. Zugegeben, weit hergeholt. Wer weiss, welcher Komet wann übers Firmament flog?

Aufmerksamkeit ist mit unserem Bewusstsein verbunden – sowohl dem bewussten als auch dem unbewussten Bewusstsein. Die Zuwendung auf einen Reiz oder auf einen Gedanken ist die Voraussetzung, dass es uns bewusst wird. So kannst du zum Beispiel deine Aufmerksamkeit bewusst auf deinen grossen Zehen richten. Für welchen hast du dich entschieden? Den rechten oder den linken? Du spürst ihn jetzt – obwohl er, bevor du die Zeilen gelesen hast, bereits da war.

Regelmässige bewusste Lenkung der Aufmerksamkeit auf einzelne Körperteile oder den ganzen Körper verbessert die Durchblutung, führt zu einer Stärkung des Immunsystems und zu besserer Gesundheit. Hier eine Liste wissenschaftlicher Studien, warum, als eine Form der Aufmerksamkeit, Meditation gut für dich ist – denn Meditation sorgt für mehr Aufmerksamkeit und zwar 24/7 im Vorbeigehen. Aufmerksamkeit ist das Ritual, um den Autopiloten auszuschalten. Neu ist das nicht:

„Jeder weiss, was Aufmerksamkeit ist. Es ist die Besitzergreifung des Geistes, in deutlicher und lebhafter Weise, von einem von anscheinend mehreren gleichzeitig möglichen Objekten oder Gedankengängen. Zuwendung und Konzentration des Bewusstseins gehören zu ihren Voraussetzungen. Sie impliziert Vernachlässigung einiger Dinge, um andere besser verarbeiten zu können, und sie ist ein Zustand mit einem echten Gegenteil, nämlich dem verwirrten, benommenen, zerstreuten Zustand, der auf Französisch “distraction“ und auf Deutsch Zerstreutheit heisst.“

William James, Principles of Psychology (1890)

Wenn du dies hier liest, dann hat deine Aufmerksamkeit noch nicht nachgelassen, neben der Neugierde, wissen zu wollen, wie es weitergeht. Diese Neugierde hat einen Hintergrund. Warum interessiert dich das? Was genau passiert in deinem Hirn im Moment? Halte einen Moment still und überlege, welches deiner Bedürfnisse du mit dem Weiterlesen befriedigst. Nimm dir den Moment. Was fühlst du jetzt gerade in diesem Moment?

Achtsamkeit

Achtsamkeit ist für mich die „Konzentration auf etwas, bei gleichzeitigem „bewusst sein“ darüber, was „innen und aussen abläuft“. Sich neben den Impulsen und den Reizen, die über die Sinne bei uns ankommen, die Zeit zu nehmen (und die braucht es!), sich seiner Gefühle, Gedanken und Handlungen bewusst  zu sein.

Achtsamkeit ist die Methode der Untersuchung. Achtsamkeit hat die Macht, die tiefste Wirklichkeit der menschlichen Beobachtung zu enthüllen. Auf dieser Ebene der Inspektion sieht man folgendes: (a) alle konditionierten Dinge sind von vornherein vorübergehend; (b) jedes weltliche Ding ist am Ende unbefriedigend, da vergänglich und momentan.

Achtsamkeit funktioniert wie ein Elektronenmikroskop. Das heisst, sie entsteht auf einem solch feinen Niveau, dass man wahrnimmt, dass die Realitäten theoretisches Konstrukt zum wahren Gedankenprozess sind. Achtsamkeit sieht die vorübergehende Natur von allem, was wahrgenommen werden kann.

Achtsamkeit ist ein Prozess und sie findet nicht in Schritten statt. Sie ist ein ganzheitlicher Vorgang, der als Einheit auftritt: Man bemerkt zum Beispiel seinen Mangel an Achtsamkeit und dass dieses Erkennen Resultat der momentanen Nicht-Achtsamkeit, also wiederum ein Resultat der Achtsamkeit ist. Alles geschieht in wenigen Momenten. Das bedeutet nicht, dass wir mit Achtsamkeit sofort die Befreiung (Freiheit von allen menschlichen Schwächen) als Ergebnis erwarten dürfen. Die Praxis, Achtsamkeit bewusst im Leben zu integrieren, ist ein Prozess. Und das Lernen, um diesen Zustand der Achtsamkeit zu vertiefen, ist noch ein anderer Prozess. Es sind erfüllende Prozesse und sie sind der Mühe wert.

Gewahrsein

Gewahrsein ist für mich das wirkliche Erleben des Seins, der Lebendigkeit seiner selbst. Um dies zu erleben, braucht es Aufmerksamkeit und Achtsamkeit. Die Wortbildung:

„Ge“ ist die Vorsilbe der Manifestation. Aus „denken“ wird ein Gedanke, aus „heimlich“ ein „Geheimnis“ und aus „lachen“ ein Gelächter. Gewahrsein ist „wahrsein“ und damit dauerhaft.

„Wahr“ ist das für jeden nur selbst Wahre. Es ist eine Ableitung und die Folge eines Wahrnehmens. Das funktioniert nur, wenn man sich seiner selbst gewahr ist, in sich beobachtet. Es ist das, was beim Erleben übrig bleibt, wenn Sehen, Riechen, Schmecken, Tasten, Körperempfindungen und Spüren ohne Eindruck sind. Wenn Angst, Wut, Freude, Leid und Traurigkeit zwar beobachtet werden, aber das Denken und Bewerten schweigt.

Wir leben in mehreren Ebenen des Daseins zugleich. Im physischem, dreidimensionalen Umfeld und im Psychischen. In der physischen Welt sind wir räumlich abgegrenzt (Deine Nase ist nicht meine Nase) – und  wir sind Teil eines Ganzen. Es besteht ein Dualismus, nicht immer bewusst, zwischen „Innen“ und „Aussen“, zwischen „Körper“ und „Geist“. Das Erkennen der eigenen Lebendigkeit, über die Grenzen der eigenen Haut hinaus, die alles umfasst, führt zur Logik: „Alles ist Gewahrsein.“ Das bewusste Erleben des menschlichen Selbst. Das ist ein grosser Raum.

Denken hat die Macht, eigene innere Räume zu errichten und sich in diese vom vollständigen Erleben und Wahren zurückzuziehen. Die innere Welt ist eine Illusion. Im Gewahrsein bleibt das Körperempfinden bewusst und präsent, ebenso die Eindrücke der Sinne, das Hören und Sehen der Gedanken, das Fühlen des Gefühls, das Wahrnehmen des Umfelds, das Beobachten der eigenen Aufmerksamkeit und der Weite des Bewusstseins. Gewahrsein ist die Summe von allem – im Moment: der Raum.

Was kannst du mitnehmen?

Es geht nicht um eine Entspannungsübung, es gibt nichts zu verbessern. Es geht darum, wahrzunehmen, wo du gerade mit deiner Aufmerksamkeit bist. Du kannst dir eine Minute Zeit nehmen. Schau auf eine Uhr (ein Sekundenzeiger hilft) für eine Minute und beobachte achtsam, was du erlebst.

Für manche Menschen ist das schwierig. Trotz der Absicht, nur den Sekundenzeiger zu beobachten, ist wahrscheinlich vieles im Hirn abgelaufen. Gedanken könnten gewesen sein: „Wie lange eine Minute ist“, oder „Mein Gott, ich kann mich nicht konzentrieren,“ oder ähnliches. Bleib cool, das ist normal, zumindest zu Beginn, denn Konzentration braucht Training.

Es gilt zu erkennen, wo du gerade mit deiner Aufmerksamkeit bist.

Zum Beispiel: Wenn dich etwas aufregt, anmacht oder belastet, entsteht ein Gefühl. Letztendlich entsteht dein Gefühl in diesem Beispiel aufgrund eines (emotionalen) Auslösers. Erst deine Interpretation des Triggers (läuft intern ab) führt zu deiner Bewertung, ob gut oder schlecht.

Ohne Aufmerksamkeit, Achtsamkeit oder Gewahrsein läuft dieser Prozess automatisch ab. Die Reaktion auf den Auslöser verzögern zu können, ist die Fertigkeit, die mit Aufmerksamkeit, Achtsamkeit und Gewahrsein (AAG) entsteht.

Zwischen Reiz und Reaktion liegt ein Raum. In diesem Raum liegt unsere Macht zur Wahl unserer Reaktion. In unserer Reaktion liegen unsere Entwicklung und unsere Freiheit.

Viktor Frankl

Diesen Raum zu erkennen, benötigt nur den Bruchteil einer Sekunde. Es braucht Training,, um es mit unbewusster Kompetenz automatisch zu leben. Es ist der Raum, in dem deine Freiheit und dein Wille nur von dir abhängen.

Wenn dir jemand die Vorfahrt nimmt und du dich ärgerst, dann übergibst du einer wildfremden Person die Macht über deine Gefühle. Hallo, willst du das wirklich?

„In der Situation konnte ich nicht anders, sie/er hat mich mit dem Gezicke zur Weissglut gebracht.“ Ist die unglückliche Rechtfertigung, die übertüncht, dass du die Verantwortung für deine Gefühle abgegeben hast.

Vorsicht, sich dessen bewusst zu werden, reduziert Stress und macht dich gelassener. Du wirst beobachten, dass es dich beruhigt. Trainieren kannst du das täglich, Gelegenheiten gibt es genügend:

Fängt mit dem Stau im Berufsverkehr an. Ein Mitarbeiter kommt zu spät ins Meeting oder kommentiert deine Aussage daneben. Zu viele E-Mails in der Inbox, wer soll das alles schaffen? Das ist die vierte Unterbrechung heute. Der Kunde beschwert sich zum zweiten Male unberechtigt und unverschämt. Wasser fehlt in der Kaffeemaschine. Ich bin spät dran und dieser Traktor vor mir im Überholverbot, etc.

Erst einmal eine halbe Stunde joggen (gute Strategie), ein Bier, die Rotweinflasche öffnen (nicht so gute Strategie), um für den Tag und der emotionalen Achterbahn etwas entgegenzusetzen. Das sind Möglichkeiten. Einfacher, um nicht durchzudrehen, funktioniert das mit AAG, der Fähigkeit den Raum zwischen Reiz und Reaktion zu nutzen. Eine klitzekleine Pause zwischendurch nutzen und achtsam sein.

Wie? Durch „Nichtstun“ in diesem Moment. Ein – oder ein paarmal tief durchatmen. Dies führt automatisch zu überlegterem Handeln und mehr Klarheit.

Das funktioniert gut, wenn du anfängst auf deine interne Sprache zu achten. Statt zu sagen (denken): „Ich bin ärgerlich.“, was eine Manifestation in dir bedeutet und Eigentum an diesem Gefühl bedingt, kannst du denken: „So fühlt sich „ärgerlich fühlen“ in mir an, wenn mir das Verhalten eines anderen nicht passt. Will ich dem Gegenüber die Macht über meine Gefühle geben?“

Finde Abstand zwischen deinen Gefühlen und dir. Du bist nicht deine Gefühle – sie sind nur ein Teil von dir.

Gewahrsein ist alles.

 

P.S. Was sind deine Gedanken? Was verstehst du unter Aufmerksamkeit, Achtsamkeit und Gewahrsein? Hinterlasse einen Kommentar!

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