Als Marius in den Urlaub auf die Aleuten flog, erwartete er Sonnenschein, Bikinimädchen und Strandleben. Als er beim Verlassen des Flughafens von einem Eisbären gebissen wurde, war er enttäuscht. Seine Erwartungen basierten auf der Annahme, dass die Aleuten in der Südsee liegen. Hätte er nur im Geographieunterricht besser aufgepasst.
Seine Erwartung war antizipatorisch. Man hält ein zukünftiges Ereignis für wahrscheinlich und geht davon aus, dass es eintritt.
Als Franz Josef von Hawaii zu seiner Vortragsreihe über die gerichtsmedizinischen Zusammenhänge von Eisbärbissverletzungen auf die Aleuten aufbrach, erwartete er dort einen Blumenempfang. Nichts dergleichen geschah. „Unglaublich, wie man auf den Aleuten mit geladenen Ehrengästen umgeht.“
Franz Josephs Erwartung war normativ. Man erwartet von Bezugspersonen oder anderen, dass sie sich auf eine bestimmte Art und Weise verhalten – und man besteht darauf, dass sie es tun.
Erwartungen spielen in jeder zwischenmenschlichen Beziehung eine zentrale Rolle. Sie prägen unseren Umgang mit anderen, beeinflussen unser Empfinden von Nähe und Distanz und sind häufig die Ursache für Missverständnisse und Konflikte. Der Ausgangspunkt vieler Beziehungsprobleme liegt nicht selten in der Diskrepanz zwischen dem, was wir erwarten, und dem, was tatsächlich ist. Was aber macht Erwartungen so mächtig und gleichzeitig so problematisch?
Erwartungen entstehen aus unserem Bedürfnis nach Vorhersehbarkeit und Sicherheit in unseren Beziehungen. Sie helfen uns, das Verhalten anderer zu antizipieren und unsere eigene Rolle in einer Beziehung zu definieren. Sie sind jedoch zweischneidig: Einerseits können klare Erwartungen, die kommuniziert und geteilt werden, eine Beziehung stärken. Andererseits führen unausgesprochene oder unrealistische Erwartungen oft zu Enttäuschungen.
Ein wesentliches Problem unausgesprochener Erwartungen besteht darin, dass sie eine versteckte Agenda in Beziehungen einbringen. Wenn eine Person davon ausgeht, dass ihre Bedürfnisse und Wünsche von der anderen Person intuitiv verstanden und erfüllt werden sollten, ohne dass diese jemals klar artikuliert wurden, ist der Weg für Missverständnisse und Enttäuschungen geebnet. Diese Dynamik führt oft zu einer Spirale von Vorwürfen, Rückzug und zunehmender Distanzierung.
Der Ausweg aus dem Erwartungsdilemma liegt in einer offenen Kommunikation und klaren, realistischen Vereinbarungen. Entscheidend ist, dass beide Partner lernen, ihre Bedürfnisse, Wünsche und Erwartungen klar zu artikulieren. Dazu gehört auch die Bereitschaft, zu verhandeln und Kompromisse zu finden, die für beide Seiten akzeptabel sind. Ein solches Vorgehen erfordert Mut und die Bereitschaft, sich verletzlich zu zeigen, bildet aber die Grundlage für eine tiefere Verbindung und Verständigung.
Ein weiterer Schlüssel zum Umgang mit Erwartungen in Beziehungen ist die Förderung von Selbstwirksamkeit und Autonomie. Wenn man lernt, seine eigenen Bedürfnisse zu befriedigen und sie nicht von anderen abhängig zu machen, verringert sich die Belastung durch unrealistische Erwartungen an den Partner. Dies schafft ein gesundes Gleichgewicht in Beziehungen, in denen beide Partner als eigenständige Individuen agieren, die sich gegenseitig unterstützen, anstatt voneinander abhängig zu sein.
Die meisten Erwartungen sind einseitige Gefühlsregungen. Wir erwarten etwas von anderen. Die bessere Alternative zu Erwartungen liegt in Vereinbarungen:
Vereinbarungen sind bilateral und wir nehmen die Verantwortung für unser Leben und unsere innere Haltung mit Vereinbarungen in die eigene Hand.
Vereinbarungen sind gegenseitige Übereinkommen zwischen den Parteien.
Vereinbarungen funktionieren, weil sie Versprechen sind, die mit Respekt und Wertschätzung und nicht mit Zwang gemacht werden, während Erwartungen an sich keinen Zweck erfüllen.
Falls notwendig, können Abweichungen vom „was, wann, wo und wie“ gemeinsam erörtert und neu «verhandelt» oder anders entschieden werden.
Wie? Indem wir unsere Achtsamkeit erhöhen und unseren Erwartungshorizont hinterfragen. Und: indem wir Vereinbarungen treffen.
Wenn man keine Erwartungen an den Partner hat und er etwas Unerwartetes tut, dann ist das eine freudige Überraschung.
Mit unseren Bekannten gehen wir freundlich um, unser Ton ist angepasst und wir brüllen nicht unsere Meinung heraus. Wollen wir nicht eine Vereinbarung treffen, dass wir mit uns in unserer Beziehung genauso umgehen?
In Partnerschaften ist oft der fehlende Dialog das Problem. Basiert der fehlende Dialog dann noch auf Erwartungshaltungen und Beurteilungen, dann ist dies nur gut für die Scheidungsanwälte.
Regelmäßige Gespräche über Bedürfnisse, Wünsche und Erwartungen sind unerlässlich. Dazu gehört auch die Bereitschaft, schwierige Themen anzusprechen.
Vereinbare klare und realistische Ziele in allen Beziehungen. Was „erwartest“ du von deinem Gegenüber und wofür?
Nimm dir regelmäßig Zeit, um deine eigenen Erwartungen zu hinterfragen. Sind sie realistisch? Sind sie fair? Welches Bedürfnis erfüllen sie gerade?
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