Bildquelle: „Geborgenheit im Ungewissen“ (Meihei)

Sich Sorgen machen ist eine Kompetenz, die auf zwei Säulen ruht. Zum einen braucht es Fantasie und Vorstellungskraft für die Zukunft, weil Ängste und Sorgen in der Zukunft zuhause sind. Und es braucht ein weiteres Gefühl, nämlich das Gefühl der Ohnmacht und/oder Handlungsunfähigkeit.

Trotzdem gab es schon häufiger in deinem Leben «Muster des Gelingens», denn viele Sorgen und Probleme hast du bisher in deinem Leben schon gelöst, obwohl du dir in den besten Farben die Horrorszenarios imaginiert hast.

Gunther Schmidt, mein Nr. 1 Mentor, ist nicht nur Leiter des Milton-Erickson-Institut Heidelberg (Meihei), sondern auch ärztlicher Direktor und Geschäftsführer der sysTelios-Privatklinik für psychosomatische Gesundheitsentwicklung und ich bin dankbar für alles, was ich von ihm lernen durfte.

Infolge der Corona-Krise hat das Meihei eine Webseite (https://www.potenzialschoepfung-hypnosystemisch.de/) erstellt. Dort kannst du verschieden Angebote finden, die dich in Krisenzeiten wie dieser mental, psychisch und körperlich unterstützen könnten, so hoffen sie.

Eine verkürzte Ausgabe von Dr. Stefan Junkers Buches «Krise – Hirn an» findest du neben Trance und Vortragsangeboten eben da. Heute ein Auszug aus seinem Buch:

Kennen Sie den Unterschied zwischen Gefahr und Risiko? In den Natur- und Ingenieurwissenschaften wird ein Risiko gemeinhin durch das Produkt eines möglichen Schadens oder Nutzens und seiner Eintrittswahrscheinlichkeit bestimmt. Und eine Gefahr besteht immer dann, wenn das Risiko eine akzeptierte Schwelle übersteigt. Für unsere Zwecke viel hilfreicher ist aber eine ganz andere Sichtweise auf den Begriff Risiko:

Laut dem Soziologen Niklas Luhmann geht man immer dann ein Risiko ein, wenn man durch eine eigene Entscheidung die möglichen negativen Folgen derselben beeinflussen kann. Der brillante Systemtheoretiker gibt das Beispiel des Regenschirms:

Stellen Sie sich vor, Sie frühstücken, das Radio läuft, gleich geht`s zur Arbeit. Der Wetterbericht sagt eine Regenwahrscheinlichkeit von 80% voraus. Sich nun dafür zu entscheiden, ohne Regenschirm vor die Tür zu gehen, wäre riskant. Sie könnten ohne Not pitschnass werden. Sie kennen doch jetzt, dank der Wissenschaft der Meteorologie und der Erfindung des Radios, das statistische Risiko. Und Sie besitzen dank der Erfindung des Regenschirms ein Mittel zur Risikoabwehr. Allerdings kommen Sie nicht risikolos aus der Nummer raus, selbst wenn Sie den Regenschirm mitnähmen. Denn Sie könnten ihn ja irgendwo liegenlassen oder verlieren.

Gefahren sind hingegen etwas Unbestimmtes, dass unabhängig von den eigenen Entscheidungen existiert und durch diese nicht beeinflusst wird.

Aus Luhmanns Sicht überführen neue Innovationen, für oder gegen deren Einsatz wir uns entscheiden können, unbestimmte Gefahren in konkrete Risiken. Die Moderne hat das Leben durch den beständigen Fortschritt eigentlich ungefährlicher, aber immer riskanter gemacht. Es verlangt uns permanent Risikoentscheidungen ab, die sich vormals gar nicht stellten: Impfen? Eigentlich schon, aber gegen was alles? Und Impfen kann doch auch schlimme Nebenwirkungen haben. Ein Auto mit besonders vielen Airbags anschaffen? Es sind schon Leute an diesen Dingern erstickt. Vorsorgeuntersuchungen? Heimlich mal in die Mails des Partners reinschauen, wer weiß, er lächelt der Nachbarin immer so zu … Das eigene Genom analysieren lassen, um die Wahrscheinlichkeit mancher Krebsarten zu bestimmen? Fruchtwasseruntersuchungen in der Schwangerschaft? Versteckte Kameras, um die Arbeit der Babysitterin zu überprüfen? Eine Versicherungspolice abschließen?

Jede neue Entscheidungssituation ist ergiebiger Rohstoff für neue Verunsicherung, aber eben gerade nicht für Sicherheit. Denn jede Entscheidung gegenüber einer unsicheren Zukunft bringt neue Risiken mit sich. Man muss sich klar-machen: weitestgehende Sicherheit ist eine Illusion. Unsere Ahnen waren hingegen ziemlich gut im Arrangement mit Gefahren: Blitzeinschläge, Krankheiten, Dürren und Überschwemmungen … was blieb ihnen auch übrig? Die entsprechende Gelassenheit haben wir uns mit jeder neuen Erfindung und den damit in die Welt geworfenen Entscheidungen gründlich abtrainiert.

Denn niemals zuvor in der Menschheitsgeschichte mussten wir täglich so viele Entscheidungen treffen. Des-halb ist heute genug Arbeit für Leute wie mich da. Uns Psychologen gibt es nicht, weil wir neuerdings, dank der Wissenschaft, überhaupt erst etwas über Angsterkrankungen und Ähnliches herausgefunden haben. Es ist vielmehr so, dass die Moderne mit ihrem Innovationstempo und der ständigen Veränderung erst den enormen Bedarf nach Angsttherapeuten erzeugt hat. Wissenschaft erzeugt Nachfrage nach Wissenschaft.

Die subjektiv enorm angestiegenen Risiken haben die Menschen und Gesellschaften der Moderne süchtig nach Sicherheit gemacht. Das raubt Freiheit, Flexibilität und Kreativität und legt sich wie eine Schlinge um den Hals von Kunst und Kultur. Je mehr wir nach Sicherheit gieren, desto ängstlicher werden wir. Und desto krisenanfälliger. Und umso mehr Risiken und Gefahren entstehen. Und mehr Ängste. Und das Bedürfnis nach Sicherheit. Ein Teufelskreis.

Immerhin kann ich ganz gut davon leben. Und mit mir: Populisten, Innen- und Verteidigungspolitiker, private Sicherheitsdienste, Versicherungsmakler, Stacheldrahtproduzenten, Psychopharmaka Hersteller, Anlageberater und andere Sympathieträger. Erst Ängste schüren und dann vermeintliche Sicherheit und Kontrolle verkaufen, das war immer schon ein einträgliches, sich selbst tragendes Geschäftskonzept.

Der Kapitalismus hat auch die Angst zu einem gigantischen, globalen Markt transformiert, der sich rasant weiter anheizt und immer monströser aufbläht. Die angebotene Ware: das vermeintliche Gefühl von Sicherheit. Es ist die gefährlichste Droge der Welt. Kurzfristige Wirkung: Beruhigung und Illusion von Kontrolle. Mittelfristige Wirkung: Angst. Panik. Langfristige Wirkung: Schwerste Abhängigkeit. Wahnvorstellungen. Paranoia. Akute Eigen- und Fremdgefährdung. Gewaltbereitschaft.

Sie selbst wollen kein willfähriges Opfer von Ängsten werden? Dann machen Sie es wie unsere Ahnen: Akzeptieren Sie, dass die Welt ein unsicherer Ort ist. Arrangieren Sie sich mit den unbestimmten Gefahren, und stellen Sie sich verantwortungsvoll aber entspannt den Risiken, die Ihnen mit jeder Lebensentscheidung begegnen. Risiken sind der Preis der Freiheit. Nur wer keine Entscheidungsmöglichkeiten mehr hat, braucht keine Risiken mehr zu ertragen. Aber wollen Sie in einem totalitären Überwachungsstaat leben?

»Wir beschließen etwas, stellen das dann in den Raum und warten einige Zeit ab, ob was passiert. Wenn es dann kein großes Geschrei gibt und keine Aufstände, weil die meisten gar nicht begreifen, was da beschlossen wurde, dann machen wir weiter – Schritt für Schritt, bis es kein Zurück mehr gibt.«

Jean-Claude Juncker

ehemals Ministerpräsident von Luxemburg und Vorsitzender der Eurogruppe, 11/2014 – 11/2019 EU-Kommissionspräsident

(zitiert nach D. Koch: Die Brüsseler Republik. Spiegel 52/99)

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