Bild: Oliver Sjostrom – unsplash

Es gab noch keine Generation, die es so gut hatte wie wir. Technologie gibt uns Komfort und vereinfacht unser Leben wie nie zuvor. Im Jahr 2018 hatten circa 3 Milliarden Menschen ein Smartphone und die kannst du alle anrufen. Wenn du mit jedem eine Sekunde sprichst, bist du nach 34.722 Tagen (95 Jahren) schon fertig. Einparken macht die Karre selbst, wobei für mich die grösste Erfindung immer noch die Geschirrspülmaschine ist – streiten wir uns jetzt doch nur noch, wer sie ausräumt…

Warnung: Der heutige Artikel ist etwas länger und die Gefahr besteht, er könnte dich berühren und dein Leben beeinflussen.

Wenn du „Geheimnis zum Glück“ googelst, kriegst du mehr als 24 Millionen Hits. Wenn du dich auf der Strasse umsiehst, dann steht ja allen Menschen das Glück direkt ins Gesicht geschrieben, oder? Wie häufiger beschrieben, hängt der grösste Teil des Glücks, die Freude am Dasein, von Faktoren wie innerer Überzeugung und von Gewohnheiten ab. Übrigens gibt es seit 2006 an der Harvard Universität (Massachusetts, USA) einen Lehrstuhl für „Glücksunterricht“.

Und trotzdem, viele Menschen leiden. Reinhard Sprenger: „Leiden ist leichter als Handeln.“ Ein furchtbarer Satz, den ich bei weitem nicht unterschreibe. Zwar erkranken Menschen (vielleicht) nicht, weil sie ihren Ärger hinunterschlucken, wie uns viele gutmeinende Psychologen immer wieder glauben machen wollen. Sie erkranken, weil die Auswirkungen ihres Handelns nicht zielführend sind. Und nicht Handeln ist auch Handeln. Da hat man die Wahl – immer!

Ob es besser wird, wenn es anders wird, weiss ich nicht.
Dass es aber anders werden muss, wenn es besser werden soll, weiss ich!

Physiker Georg Christoph Lichtenberg (1742-1799)

Ob es besser wird, kannst du in der Tat selten mit Sicherheit vorhersagen. Wenn du handelst, stehen die Chancen, dass du das bekommst, was du willst – lass‘ uns sagen 50 zu 50. Wenn du nichts riskierst, dann kannst du zu 100% sicher sein, es nicht zu bekommen.

Dabei ist Leiden nur scheinbar leichter als Handeln. Leiden hat einen hohen Preis: Selbstrespekt, eigene Freiheit, Selbstbestimmung – das eigene Leben zu leben – bleiben auf der Strecke. Aber nicht unser Leiden führt uns voran, sondern unsere Leidenschaft(en).

Martin Seligman – toller Name für den Vater der positiven Psychologie – sagt, um Glück zu erreichen, muss an drei Dimensionen gearbeitet werden:

Das (Über)leben – also die Befriedigung unserer Grundbedürfnisse.

Das wertvolle Leben – unser Potential, entdecken und entwickeln, damit wir uns erfüllt fühlen.

Das sinnvolle Leben – unser Potential sinnvoll leben, uns für das Glück anderer einsetzen.

Seligmans dritter Punkt, das sinnvolle Leben ist für viele ein Thema. Ich glaube, dass im Prinzip jeder im Grunde weiss, was er will, sich dessen aber nicht bewusst ist – oder der Zugang nicht gefunden wird. Oftmals sind es innere Konflikte, die im Weg stehen – und der Intellekt sucht die Lösung an Orten, wo Licht ist:

Der Betrunkene krabbelt bei Nacht um die Laterne. Da kommt ein Polizist vorbei und fragt ihn, was er da mache. „Ich suche meinen Schlüssel,“ sagt der Betrunkene. Wo er denn den Schlüssel verloren habe, fragt der Polizist. Antwort: „Irgendwo da hinten.“ — „Und warum suchen Sie hier?“ — „Weil es hier heller ist!“

„Into this world we’re thrown“ (in diese Welt sind wir geworfen), heisst es im Song „Riders on the Storm“. Unsere Zeit auf dem Planeten ist limitiert. Alles Mögliche unternehmen wir. Einige der Dinge, die wir tun, sind wichtig. Anderes ist unwichtig. Unwichtiges zu tun, ist Zeitverschwendung. Was einem wohl durch den Kopf geht, wenn er sagt: „Ich muss jetzt zwei Stunden Zeit totschlagen.“

Was kann ich mit meiner begrenzten Zeit machen, das wichtig ist?

Diese Frage eröffnet in meiner Welt mehr Möglichkeiten und Optionen, als die gedankliche Suche nach dem Lebenssinn. Da kann man zum Beispiel mit seinen Leidenschaften, Passionen anfangen. Trotz der oben erwähnten 24 Millionen Hinweise zum Geheimnis des Glücks, gibt es natürlich keine wirkliche Weltformel – denn jeder ist einzigartig, hat andere Stärken und Schwächen, andere Bedürfnisse, andere Vorstellungen für das Leben, für sich und, obwohl nicht sinnvoll, für andere.

Ich kann dir nicht den Sinn des Lebens erklären. Ich kann dich nur ermutigen, dich auf den Weg zu machen. Wegweiser dorthin sind die Leidenschaften. Warum?

Weil, wenn du erkennst, was dich mit Freude und Energie erfüllt, was für dich „tatsächlich“ wichtig ist, wird es einfacher zu entscheiden, was du mit deinen Fähigkeiten, mit und aus deinem Leben machen kannst. Diese Fähigkeiten und Fertigkeiten für etwas Gutes einzusetzen, für dich und für andere, ergibt viel Sinn, findest du nicht?

Du kannst das „was mir wichtig ist“ auch mit „was ich liebe“ beschreiben. Oftmals wird die Antwort auf die Frage, was du liebst, eventuell „Ich weiss es nicht“ heissen. Mach‘ dir keine Sorgen. Das ist zu Beginn ziemlich normal. Beginne in diesem Fall damit, die Aussage in „Ich weiss es noch nicht“ zu verwandeln.

Manchmal übersehen wir Hinweise auf unsere Leidenschaften. Nehmen sie nicht bewusst war, obwohl es leidenschaftliche Taten, Flow-Erlebnisse und Höhepunkte in deinem Leben gab. Aber, schnurzpiepegal aus welchen Gründen die Leidenschaften nicht so präsent waren oder aktuell sind, wie du es dir wünscht: Du findest die Antwort! Zumindest ist es mit dieser Mentalität nur eine Frage der Zeit und braucht ein bisschen Geduld.

Erstelle eine Liste mit deinen Leidenschaften und deinen Fertigkeiten. Das ist nicht Eigenlob, sondern Analysearbeit – betrachte dich als Sherlock Holmes – nicht nur zu sehen, sondern auch zu beobachten. Schreibe es auf. Das ist wichtig, weil damit unbewusste Antworten (Antworten von deinem Freund auf der anderen Seite – dem Unbewussten) an die Oberfläche kommen. Es werden neue Verbindungen sichtbar, die sich bisher in dir versteckt haben.

Wenn wir nur die gleiche Zeit an Reflexion auf das richten würden, was wir im Leben wollen, wie auf die Frage, was wir mit zwei Wochen Urlaub machen, wären wir erschreckt von unseren falschen Massstäben und dem ziellosen Schaffen unserer geschäftigen Tage.

Dorothy Canfield Fisher

Schreibe alles auf, was dir in den Kopf kommt. Welche Bücher liest du gerne? Interessieren dich Fische? Auf dem Teller, als Horoskop oder beim Tauchen?

Suche auch deine Stärken und Fertigkeiten: Hast du einen guten Riecher, wann im Supermarkt eine neue Kasse geöffnet wird und bist der erste an der neuen Kasse? Über was unterhältst du dich liebend gerne mit Freunden oder Fremden?

Frage zudem Freunde und Verwandten, welche Stärken und Interessen sie in und an dir sehen. Warum sind die Stärken so wichtig? Weil das, wo du stark bist, dir erstens höchstwahrscheinlich Freude bringt und zweitens mit der richtigen Mischung aus Anspruch und erforderlichem Fähigkeiten-Niveau etwas sein kann, was du leidenschaftlich tust (tun wirst).

Es ist schon eine Leistung, sich Zeit zum Lesen, zum Entspannen, zum Meditieren zu nehmen. Ist es wirklich so schwer, sich auch Zeit für Überlegungen der eigenen Zukunft zu nehmen? Es ist dein Leben, nicht wahr? Wenn du nicht entscheidest, was du tun willst, dann werden es andere für dich übernehmen. Selbstbestimmung fängt hier an – und denke daran, es ist ein Prozess. Was dabei im Hirn abläuft, kannst du, wenn es dich mehr interessiert, hier nachlesen.

Was ist es, was ich zu tun liebe?

Gestalte die Frage etwas konkreter: „Was würde ich täglich lieben zu tun, das meinen Fähigkeiten, Stärken und Interessen nutzt, Sinn macht – und anderen hilft?“

Mit dem letzten Zusatz kommst du neben deiner ernsthaften Leidenschaft(en) auch auf Ideen, wie du mit deiner Leidenschaft Geld verdienen kannst. Geld ist ein Indikator dessen, was Wert in Form einer Sache oder Dienstleistung(en) für andere Menschen darstellt.

Wenn in diesem Prozess Zweifel bei dir auftauchen, ob es eine Leidenschaft sein könnte, dann ist sie es nicht. Suche weiter, du bist in diesem Fall schon einen Schritt vorwärts gekommen.

Das Thema Leidenschaft hat es für mich in sich. Ob es um den Weg zu mehr Leidenschaft geht oder darum, sich mit leidenschaftlichen Menschen zu umgeben, ist egal. Es gibt überall Ansatzpunkte, sich seiner oder der Leidenschaft anderer stärker bewusst zu werden. Und nicht vergessen:

Leidenschaft ist das Ergebnis von Handeln.
Nicht die Ursache.

Um den Stein ins Rollen zu bringen, hier ein paar Fragen als Anregung und zum Aufwärmen:

⇒ 1. Welchen Aufwand bin ich bereit zu übernehmen?

Fängt schon damit an, hier die Fragen herunterzuladen und sich die Zeit zu nehmen. Es ist schon wahr, nichts ist umsonst. Alles kostet etwas: Zeit.

Nicht wirklich was Neues – und doch – da steckt mehr drin. Alles hat seinen Preis. Wenn du sagst: „Ich kann nicht!“, dann willst du nicht. Anderes ist dir wichtiger. Du willst den Preis für Veränderung nicht bezahlen.

Alles, was du tust, tust du freiwillig. Jeder, der etwas Neues wählen will, kann dies tun. Er muss nur bereit sein, den Preis zu bezahlen.

Für was betreibst du gerne Aufwand oder bist bereit den Preis zu bezahlen? (Warum?)

⇒ 2. Schreibe 4 Schlüsselerlebnisse deines Lebens nieder:

  • Das schönste, besondere, grossartigste Erlebnis meines Lebens war…(Warum?)
  • Ein wichtiger Wendepunkt in meinem Leben, ein Moment, der dazu geführt hat, dass ich mich verändert habe, war…(wodurch kam dieser Wendepunkt zustande?)
  • Das schlimmste Erlebnis in meinem Leben war…(Wie und wodurch kamst du über diesen Augenblick hinweg?)
  • Die früheste Erfahrung, an die ich mich erinnern kann, ist…(Wie hast du dich dabei gefühlt?)

⇒ 3. Was ist in deiner aktuellen Situation vorherrschend? Nenne fünf Themen oder Bereiche, die für dein jetziges Leben bezeichnend sind.

⇒ 4. Beschreibe zwei bedeutsame Menschen in deinem Leben (und stichwortartig, warum sie bedeutsam sind)

⇒ 5. Hast du Helden oder Vorbilder? Wenn ja, wer – und warum?

12 Fragen findest du hier in einem Arbeitsblatt.

LSD – LeidenSchaftsDialog mit sich selbst

Der Prozess, sich mit seinem Leidenschaften auseinanderzusetzen, ist sowohl eine äussere, aber auch eine innere Bewegung, die zu mehr Sinnerfüllung im Leben führt. Und was ist Sinn? Der Terminus hat viele Bedeutungen und ist ein komplexes Konstrukt:

Wir wissen, was wir meinen, aber wir können es nicht erklären und kaum beschreiben.
Sinn wird gefühlt, erlebt, empfangen. Und doch ist er auch gedanklich vermittelt.

Tatjana Schnell

In der Literatur wird häufig nicht zwischen „Sinn des Lebens“ und „Sinn im Leben“ unterschieden. Zentrale Annahme von Sommer und Baumeister (1998) ist, dass der Mensch sowohl in alltäglichen Situationen, als auch im Leben generell, nach Sinn sucht. Dieses Streben nach einem sinnvollen Leben ist durch vier Bedürfnisse bedingt.

1. Need for purpose: Menschen möchten spüren, dass ihre aktuellen Aktivitäten mit zukünftigen Ereignissen in Verbindung stehen. Sie möchten ihre gesetzten Ziele erreichen und einen Zustand der subjektiven Erfüllung erlangen. Dadurch, dass es eine Zukunft gibt, wird die Gegenwart bedeutungsvoll.

2. Need for efficacy and control: Menschen streben danach, Ereignisse so interpretieren zu können, dass das Gefühl, Kontrolle über die Geschehnisse zu haben, bestätigt wird. Menschen möchten etwas bewirken können.

3. Need for value and justification: Menschen möchten, dass ihre Handlungen von positivem Wert sind.

4. Need for self-worth: Menschen haben das Bedürfnis nach einem positiven Selbstwertgefühl. Sie suchen nach Möglichkeiten, in denen sie ein Selbstbild als wertvolle Individuen mit begehrenswerten Eigenschaften aufbauen können.[1]

Training und mehr über sich selbst lernen

Für manche ist Leidenschaft etwas, das einfach so angeflogen kommt. Sowas wie „Liebe auf den ersten Blick“. Wenn du das auch glaubst – na dann – viel Glück. Bei den Leidenschaften meine ich nicht die romantische Leidenschaft, die natürlich schon aufregend und schön ist.

Ich denke eher, ob du wirkliche Leidenschaften hast, ob du dich für Dinge begeistern kannst, ob es Sachen, Umstände, Aufgaben gibt, die dich ganz und gar in deinen Bann ziehen. Dass du im „Flow“ bist und gar nicht mehr aufhören möchtest, darüber nachzudenken und zu reden.

DURCH DIE LEIDENSCHAFTEN LEBT DER MENSCH,
DURCH DIE VERNUNFT EXISTIERT ER BLOSS.

Nicolas Chamfort (1741 -1794)

Leidenschaftliche Menschen leben meistens mit grosser Klarheit, sie wissen genau, was sie wollen und verfolgen ihre Etappenziele mit Kraft und Sinnhaftigkeit.

Folgendes könntest du tun, wenn dich das Thema berührt und interessant genug erscheint:

  1. Dich gedanklich und schriftlich an das Thema heranarbeiten, mit dem Aufwärm-Arbeitsblatt. (kostenlos downloaden)
  2. Wenn du am 29. Juni 2019 in der Züricher Gegend bist, am eintägigen Workshop – Endlich Klarheit mit LSD (= LeidenSchaftsDialog mit sich selbst) teilnehmen. Frühbucherpreis nur noch heute und morgen. (…mehr Info)
  3. Den Leidenschaftsdialog mit mir 1:1, in drei bis vier Sessions virtuell führen. (mehr Info)

Wenn das Leben keine Vision hat, nach der man strebt, nach der man sich sehnt,
die man verwirklichen möchte, dann gibt es auch kein Motiv, sich anzustrengen.

Erich Fromm

[1] Sinnerfüllung im Beruf, Edith Pollet