Nichts wissen wir und davon viel. Angst geht um, manchmal bewusst und oftmals unbewusst in unserem System. Vertrauen in die Politiker wird für den einen oder anderen hart auf die Probe gestellt. Es besteht eine grosse Unsicherheit darüber, wie sich alles in den kommenden Wochen und Monaten entwickeln wird.

Wir werden uns (zum Teil schmerzlich) bewusst, dass wir in Ungewissheit leben. Das war schon immer so, aber war uns eventuell nicht so bewusst. Sicherheit ist ein wünschenswertes Konstrukt, aber in vielen Lebensbereichen eigentlich nicht vorhanden.

Ich zum Beispiel weiss im Moment während ich diese Zeilen schreibe, nicht, ob ich den Artikel zu Ende schreiben kann. Herzinfarkt (ich weiss, wer mich kennt, nicht sehr hohe Wahrscheinlichkeit), am Apfel verschlucken und ersticken oder einen Hirnschlag erleiden – könnte alles passieren. Übrigens, bei dir auch.

Es gibt Dinge, die können wir nicht ändern. Was wir ändern können, ist unseren Umgang mit den Gegebenheiten, unseren Umgang mit der Unsicherheit.

Unter anderem vielleicht die Art und Weise, wie wir mit Schock, Angst oder Trauer, mit extremen Veränderungen oder tragischen Ereignissen umgehen – vor allem im Umgang mit uns selbst und auch mit anderen.

Wie schafft man es, ohne die Spannung zu erhöhen, ohne andere auszuschliessen oder zu beleidigen, über Themen zu sprechen, über die unterschiedlichste Meinungen im Raum stehen? Zugleich denkt doch jeder, dass seine Meinung sowieso die richtige ist.

Dass das so ist, konnte man nicht nur letzte Woche und nicht nur in den USA gut beobachten.

Für die Gewissenhaften unter uns, das sind im Idealfall alle, mit denen wir zusammenarbeiten, besteht eine Möglichkeit darin, sich auf die Säulen der gewaltfreien Kommunikation zu stützen: Ein Prozess der Interaktion mit dem Umfeld, der den gegenseitigen Respekt betont, den Ton der Diskussionen vom Siedepunkt nimmt und Wertschätzung und Wohlwollen als Fundament besitzt.

Grundlagen der gewaltfreien Kommunikation (GFK)

GFK wurde in den 60er-Jahren von Marshall Rosenberg entwickelt. Die Kernfrage, die Rosenberg als Ursache seines Modelles sah, in drei Sätzen:

„Menschen möchten grundsätzlich miteinander im Austausch sein, in einer Balance von Geben und Nehmen (Anm. dein Autor: lieber empfangen als nehmen). Mit jeder Handlung versuchen sich Menschen Bedürfnisse zu erfüllen, um das Leben wirklich leben zu können in seiner ganzen Fülle und Herausforderung. Was bewegt Menschen, zur Erfüllung der Bedürfnisse beitragen zu wollen und was hindert sie daran?“

In seinem Buch, «Gewaltfreie Kommunikation: Eine Sprache des Lebens» erklärt Rosenberg sein Modell auf mehr als 200 Seiten. Zur Vertiefung kann ich das Buch nur wärmstens empfehlen.

«Es geht nicht um die Veränderung des Handelns, sondern um eine Veränderung des Bewusstseins. Um dies zu erreichen, müssen wir einen Weg von A nach B gehen, wobei A für ein Leben auf Basis der fortwährenden Anforderungen des Egos steht und B für selbstlose Bewusstheit. Aber offen gestanden sehnt sich niemand nach selbstloser Bewusstheit; aus der Perspektive dessen, der danach strebt, die Nummer eins zu sein, hört sich dies beängstigend und unerreichbar zugleich an. Und worin besteht der Lohn dafür, sich des Egos zu entledigen, das schliesslich überhaupt nur für Belohnung existiert? Wenn das Ego nicht mehr da ist, sitzt man dann nur noch passiv herum wie eine Art spiritueller Sitzsack?»

(aus dem Vorwort des o.a. Buches)

Nein, ganz im Gegenteil. GFK führt zu einer Bereicherung des Lebens, und zwar nicht nur innerhalb der Kommunikation, sondern eben auch als Weg, die Beziehung zu sich selbst und auch zu anderen Menschen bewusster zu erleben.

Die 4 Schritte der GFK

  1. Beobachte und reflektiere über das, was eine andere Person sagt, ohne ein Urteil zu fällen – oder zu bewerten;
  2. beschreibe deine Gefühle, aber debattiere nicht über Aussage, die dich anmacht;
  3. identifiziere ein universelles Bedürfnis, wie die Sehnsucht nach Gemeinschaft oder Autonomie; und
  4. stelle eine Anfrage/Bitte zu einem der Bedürfnisse. Wenn du zum Beispiel nach einer gemeinsamen Realität suchst, könntest du fragen: «Wären Sie bereit, diesen Artikel über Einwanderer und die Wirtschaft zu lesen, den ich interessant fand?»

Es kann Jahre dauern, bis man diese Methode fliessend mit unbewusster Kompetenz beherrscht, und es wird sich zu Beginn unangenehm und gezwungen anfühlen. Allerdings könnte es in den momentanen Zeiten besonders hilfreich sein, sich zumindest die Grundlagen anzueignen:

In den Spiegel schauen

Selbsteinfühlungsvermögen ist ein wesentlicher Bestandteil der Kommunikation, wenn das Gespräch zu brodeln beginnt. Manche Menschen denken, da es sich um Kommunikation handelt, mindestens zwei Parteien notwendig seien. Kommunikation mit anderen beginnt in einem selbst. Das erste ist ein Insider-Job.

Sich auf die Fehler der anderen Menschen zu konzentrieren, ist der beste und schnellste Weg, etwas zu sagen, das man später bereut. Und bedenke, es ist nur deine Betrachtungsweise, wenn du etwas für falsch hältst: Es ist noch nicht so lange her, dass wir glaubten, die Erde sei eine Scheibe oder dass Diesel umweltfreundlich sei. Gehe in dich und überlege, wie du mit deinen Schmerzen, Ängsten und Reaktionen umgehst – das wird sich auf dein Verhalten auswirken.

Achte besonders auf die Seiten in dir, die dich leicht zum Überkochen bringen. Wenn Menschen starke Reaktionen – wie Wutanfälle im Straßenverkehr – zeigen, sind oft unerfüllte Bedürfnisse die Ursache. Jeden Ärger, den du verspürst, ist nichts anderes als ein Erinnerungshinweis, dass eines deiner Bedürfnisse gerade nicht befriedigt wird.

Wir müssen (und hier gebrauche ich das Wort absichtlich) lernen, mit mehreren Varianten von Unsicherheiten umzugehen – darüber, wer die Wahl gewinnen wird, wann wir dies mit Sicherheit wissen, was das für die Wirtschaft bedeutet, wohin sich die Pandemie entwickelt, ob wir eine erschwingliche Gesundheitsversorgung haben werden, usw. usf. und das ist nur der Anfang. Dummerweise könnte dies den einen oder anderen beunruhigen.

Beschreiben, was abläuft

Ich denke, es wäre sehr hilfreich, wenn du die Ereignisse oder Meinungen so benennen würdest, dass die Unterschiede, die in anderen Meinungen bestehen könnten, respektiert werden.

Eine Diskussion über den sprichwörtlichen Elefanten im Raum zu ignorieren oder zu verbieten, mag sich wie eine neutrale Antwort anfühlen, ist aber in Wirklichkeit Ignoranz und missachtet die Gefühle des anderen.

Zum Beispiel: «Ich weiss, dass wir heute eine pralle Tagesordnung haben, und ich möchte nur sagen, dass, unabhängig davon, wie ihr die Dinge in der Welt in euren politischen, gesellschaftlichen, usw. Überzeugungen seht, dies eine herausfordernde Woche für viele von uns ist.»

Als Kollege oder Manager kannst du Menschen auf individueller Ebene unterstützen, indem du das, was du empfindest, benennst und gesprächsbereit bist. Dabei steht es dir nicht zu, dem Gegenüber ein Etikett zuzuordnen oder Ratschläge zu erteilen. Du darfst dem anderen überlassen, das zu sagen, was er oder sie sagen will.

Zuhören und prüfen

Da magst du mit der besten Intension etwas von dir geben und trotzdem hast du keinen Einfluss auf das, was dein Gesprächspartner aus dem Gehörten macht und wie er es interpretiert. Jeder, auch du, entscheidet in jeder Sekunde autonom, was er mit der angebotenen Information anfängt.

Paraphrasieren oder wiederholen was man gehört hat, bedeutet, dass man der anderen Person mitteilt, was man sie sagen gehört hat. Wenn wir verärgert sind (ist doch menschlich), ist in diesem Moment eines unser grundlegendsten Bedürfnisse, gehört zu werden.

Nicht wortwörtlich, aber stelle sicher, dass es offensichtlich ist, dass du es verstanden hast. Nach ein paar Zusammenfassungen könntest du auch fragen, ob das, was du verstanden hast und meinst, genau das wiedergibt, was dein Gegenüber mitteilen wollte.

Wer weiss, ob die Fakten stimmen?

Fakten und die Wissenschaft sollten viele Debatten klären, aber wir haben uns an «Fake News», anderes Wort für «Lügen», gewöhnt. Bei Meinungsverschiedenheiten hilft es meist nicht, gemeinsamen Grund zu finden, wenn man mit Fakten und Zahlen droht.

Den Menschen Informationen oder Daten anzubieten, die sich von dem unterscheiden, was sie glauben, ist genau der Punkt, an dem man sehr schnell Konfliktenergie freisetzt. Die andere Person wird es als Zurückdrängen oder Kritik erleben und be- und verurteilen, obwohl du nur Information anbietest.

Rosenberg entwickelte deshalb eine Faustregel, die im Wesentlichen Empathie über Bildung und Information stellt. Eines der unmittelbarsten Bedürfnisse des Menschen ist es, gehört zu werden – und wenn das geschieht, dann deeskaliert die Situation oft schnell.

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