„Wir unterschätzen das, was wir haben, und überschätzen das, was wir sind.“

Marie Freifrau von Ebner-Eschenbach (1830 – 1916)

Halten Sie doch bitte einen Moment inne und überlegen Sie sich, wer der wichtigste Mensch in Ihrem Leben ist oder war? So richtig innehalten werden Sie beim Lesen der Zeilen wahrscheinlich nicht, und doch möchte ich Sie bitten, Ihre Gedanken für einen Moment zu beobachten und sich für jemanden zu entscheiden.

Ich versuchte, Sie ein bisschen in die Irre zu führen mit „oder war“, da es im Prinzip ist wie im Flugzeug: die wichtigste Person immer zuerst:

„Sollte der Druck in der Kabine unerwartet sinken, fallen Sauerstoffmasken von der Decke herunter. Bitte legen Sie zuerst Ihre eigene Maske an und versorgen Sie erst dann Kinder, Säuglinge und Erwachsene, die sich wie Kinder benehmen.“

Die wichtigste Person in Ihrem Leben sind Sie selbst, und die promoten wir auch allgegenwärtig, wie hier in „Die PR-Abteilung im Hirn“  beschrieben. Dies ist der zweite Teil zum Thema und es geht es heute um:

Wer entscheidet eigentlich, über was wir tun, über die Gedanken, die wir haben?

Nicht, dass ich dafür Antworten hätte, aber in meiner Arbeit stelle ich immer wieder fest, dass bestimmte Modelle uns helfen, sich selbst besser zu beobachten und sein eigenes Verhalten besser zu verstehen.

Es geht heute um die Modularity of Mind (Module in unserem Geist), eine Hypothese, die insbesondere unter dem Aspekt der evolutionären Psychologie Sinn macht, und erklärt, warum wir unbewusst Entscheidungen treffen und handeln, obwohl wir glauben, dass wir beides bewusst tun.

Wenn uns unser Handeln und Verhalten tatsächlich immer bewusst wäre, dann müssten wir uns nie entschuldigen. Wenn wir glauben, wir wüssten immer, was in unserem Hirn vorgeht, dann liegen wir damit falsch, sagte Buddha. Die modulare Betrachtungsweise des Geistes hilft uns, dies besser zu verstehen, argumentiert Robert Kurzban in seinem Buch „Why Everyone (Else) is a Hypocrite: Evolution and the Modular Mind.“

Wir wollen – das ist der Zeitgeist – uns immer wieder auf uns selbst besinnen. In meiner Welt gilt, man kann nur über Dinge nachdenken und dann ändern, wenn man eine Idee hat, was denn im Hirn dabei abläuft, und in diesem Sinne gefällt mir das „Modularity of Mind“  Modell.

Alles was folgt sind meine Erkenntnisse sowie Beispiele aus dem Kurs „Buddhism and Modern Psychology“  Princeton University, New Jersey.

Wenn wir glauben, dass wir über das, was wir tun, volle Kontrolle haben, dann nehmen wir im Prinzip an, dass wir uns für unseren aktuellen Status im Hirn bewusst entschieden hätten. Das möchten wir gerne so haben, aber wenn wir darüber nachdenken, dann finden wir heraus, dass unser Status vielmehr ein Ergebnis ist, wie die Informationen in unser Gehirn gelangen, also vom Umfeld abhängig und all dies verändert unsere Emotionen – und die laufen überwiegend unbewusst ab.

Um diesen Vorgang besser zu verstehen, hilft das Model der „Module“ oder „Systeme“, wie Leda Cosmides die Module nennt. Dass dieses Model komplex ist, ist klar, unser Hirn ist ja auch komplex. Bleiben Sie bei mir, das alles macht noch Sinn.

Douglas Kendrick hat als Ko-Autor in 2013 in dem Buch „The Rational Animal: How Evolution Made US Smarter Than we Think“  sieben Module definiert und argumentiert, wenn es um unser soziales Verhalten geht, dann sind wir von diesen unbewusst beeinflusst.

Diese Module sind zu verstehen wie die Ressorts in der Politik: Aussenministerium (PR), Verteidigungsministerium (fight or flight), Gesundheitsministerium (Sport, Ernährung usw.) etc. mit der Zugabe, dass es keinen Boss gibt. Die Fragen, die dann natürlich auftauchen sind:

1. Wenn es sieben Kabinettmitglieder gibt, wer sind die?

2. Ohne Boss, wer hat wann das Sagen?

3. Und, was sind die Veränderungen, die von dem, wer das Sagen hat, abhängig sind?

Kendrick ist ein evolutionärer Psychologe und betrachtet die Module entsprechend. Aufgabe der Evolution ist es gemäss der evolutionären Psychologie, die Gene in die nächste Generation zu bringen. Kendrick definiert also im Bereich des sozialen Umgangs miteinander die sieben Module (seine Definitionen auf Englisch nachfolgend in Klammern).

Das beginnt mit dem Selbstschutz (Self Protection). Wenn jemand schreiend mit einer Machete auf uns zu rennt, dann ist der Verteidigungsminister gefragt. Ohne Partner-Anziehungskraft (Mate Attraction) läuft mit den Genen nicht viel. Wenn es dann geklappt hat, hilft es zudem, den Partner beizubehalten (Mate Retention). Ein anderes Modul berücksichtigt unsere Freundschaften und Bündnisse (Affiliation) und sich um Familie (Kin Care) zu kümmern, gehört ebenfalls zu den sieben Modulen. Im Sinne von natürlicher Selektion macht das Sinn. Dann ist da das Status Modul (Status). Manche Menschen brauchen Status oder neigen dazu, sich durch Statussymbole zu definieren. Da lebt eine ganze Uhrenindustrie davon. Ungewöhnlich, obwohl offensichtlich, erscheint das siebte Modul, Krankheiten zu vermeiden (Disease Avoidance).

Ich werde mich nachfolgend auf zwei Module, Selbstschutz und Partner-Anziehungskraft konzentrieren.

Die erwähnte Machete erklärt ziemlich einfach, welches Modul gerade aktiviert wird. So einfach, dass Sie denken mögen, was soll der Quatsch mit den Modulen. Bei Gefahr wegrennen, dazu brauche ich keine Module. In der Tat, guter Einwand, aber ich möchte Sie animieren, dabei zu bleiben, wird es doch viel subtiler. Interessant wird vor allem die dritte Frage, welchen Unterschied macht es, wenn welches Modul die Oberhand hat? Wie verändert ein spezifisches Modul unser kognitives und mentales Gemüt?

Das erklärt sich mit einem Experiment, welches Kendrick durchführte. Es wurde untersucht, wie die Probanden auf zwei Werbeplakate reagieren. Es gab zwei Slogans für ein Museum, „Mehr als 1 Million Besucher“  und „…von der Masse abheben“ (stand out from the crowd). Wir könnten annehmen, jeder Slogan ist für eine bestimmte Gruppe von Individuen bestimmt, aber Kendrick war daran interessiert, herauszufinden, ob die Attraktivität der Slogans abhängig davon sein könnte, welches Modul gerade in Kontrolle ist. Kendrick und seine Kollaborateure fanden einen Möglichkeit, entweder das Selbstschutz- oder Partner-Anziehungskraft-Modul zu aktivieren: Sie zeigten den Versuchspersonen zwei Filme. Der einen Gruppe furchterregend, „The Shining“  mit Jack Nicholson und der anderen Gruppe romantisch „Before Sunrise“.

shining

Before Sunrise

Nach der jeweiligen Filmvorführung wurden den Personen die Plakate gezeigt und gefragt, welches sie denn ansprechender fänden. Es stellte sich heraus, dass jene, die The Shining sahen, sich durch den Slogan „Mehr als 1 Million Besucher“  mehr angesprochen fühlten. Nun, wenn Jack Nicholson mit der Axt hinter einem her ist, mag man sich wohl lieber in einer Gruppe von Menschen befinden. Und jene, die den romantischen Film sahen, entschieden sich für das Plakat mit dem Slogan „…von der Masse abheben“. Es könnte sein, wenn wir uns im Balz-Modus, im Mate Attraction-Modul befinden, wir uns lieber von anderen unterscheiden, einen intimeren Standort vorziehen und gerne mit der erwählten Person alleine sein möchten. Wir könnten annehmen, dass die unterschiedlichen Slogans für unterschiedliche Personen immer passen, aber nein, jeder Slogan für sich kann attraktiv sein für jeden, lediglich abhängig davon, welches Modul gerade das Sagen hat.

Nun, unter mehreren Experimenten, die die gleiche Idee verfolgten, nämlich etwas zu untersuchen, was konstant sein sollte, um dann festzustellen, dass dem nicht so ist, gibt es eines, welches alle Ökonomen erfreuen wird:

Ökonomen haben die Zukunfts-Diskont-Rate (ZDR) oder mehr technisch die Intertemporale Produktionsmöglichkeit definiert. Das verstehen wir so: Es geht vereinfacht darum, welche Belohnung wir jetzt im Moment aufgeben, um eine grössere Belohnung in der Zukunft zu erhalten. Man kann entweder zehn (CHF, Euro, USD) heute erhalten oder 15 (50% Ertrag) in einem Monat. Wie der Einzelne diese Frage und ähnliche beantwortet, definiert, was die persönliche Zeit-Diskont-Rate ist. Verschiedene Modelle der Ökonomen gehen davon aus, dass die ZDR konstant sei. Margo Wilson untersuchte jedoch Männer, indem sie einer Gruppe Bilder von attraktiven Frauen zeigte und der anderen Gruppe Bilder vom Männern oder Autos. Was sich zeigte war, dass jene, die die attraktiven Frauenbilder sahen, sich deutlich für die Belohnung (10 CHF etc.) heute entschieden haben, mehr als die Vergleichsgruppe. Die Erklärung dafür unter evolutionärem Aspekt ist, dass, wenn das Mate Attraction-Modul aktiviert ist, der Mann also im Balz Modus ist, dann will er alle Ressourcen zur Verfügung haben, damit er seine Schau abziehen kann. Diese Entscheidung wurde nicht bewusst getroffen, denn die Männer betrachteten nur Bilder von Frauen, von Frauen, die sie nie treffen werden. Unter dem Aspekt der natürlichen Selektion, so ganz früher, bevor es die Glamour Magazine gab, machte das natürlich Sinn. Denn damals, wenn ein Mann eine Frau sah, dann war die real – sozusagen greifbar nah.

In einem weiteren Experiment, brachten Studenten ihre Zukunftserwartungen, insbesondere wie viel Geld sie verdienen werden, zu Papier. Die eine Gruppe nur unter männlichen Teilnehmern, und die andere gemischt. Die weiblichen Teilnehmer in der zweiten Gruppe konnten weder sehen, was die männlichen niederschrieben, noch durften sie miteinander sprechen – und sie haben richtig geraten: Die Männer in der zweiten Gruppe waren deutlich optimistischer als die Vergleichsgruppe.

Als weiteres Modul-Beispiel können wir kurz Ärger erörtern. Ärger kann beispielsweise ausgelöst werden, wenn jemand zu wenig oder viel zu wenig Aufwand für mein Wohlbefinden betreibt, zumindest im Hinblick darauf, was ich von diesem Jemand erwarte. „Wie konntest Du das tun? Ich habe immer mit Dir kooperiert, ich war ein guter Freund. Ich habe viel für Dich unternommen.“ Was ich ausdrücke ist, dass ich verdiene, besser behandelt zu werden. Wie bewusst läuft Ärger in uns ab? Wenn bewusst, dann würden wir erkennen, dass nur wir selbst uns ärgern können, ist Ärger doch nur unser eigenes Gefühl. Menschen ärgern sich über die Freunde, den romantischen Partner und zu einem gewissen Grad macht das vielleicht sogar Sinn, nämlich dann, wenn die Beziehung neu verhandelt werden soll. Wenn es also über das Kaufen von Rosen und über die Fussmassagen hinausgeht. „Das habe ich nicht verdient!“. Beim Ärger hat das Selbstschutz-Modul die Regie übernommen.

Mensch, ärgere dich nicht!

Weiteres Beispiel für eine Emotion, die ihre Heimat in den Modulen findet, ist die Eifersucht. Eifersucht ist schwer abzuschalten, wenn im Hirn präsent. Die Konzentration im Examen fehlt, wenn man überlegt, was der Partner jetzt gerade im Sinn haben könnte.

Scheint so, als ob nicht wir die Module wählen, sondern die Module uns. Dass sie um unsere Aufmerksamkeit buhlen und der Gewinner sich dann in unserem Verhalten wiederspiegelt. Meistens in der Form, die früher so wichtig war, um die Gene in die nächste Generation zu bekommen.

Im dritten und letzten Teil über Module geht es am nächsten Sonntag darum, inwieweit das modulare Modell des Geistes uns hilft, die buddhistische Praxis der Meditation und die Achtsamkeits-Meditation besser zu verstehen und warum sie funktionieren. Wir werden weiterhin untersuchen, was passiert, wenn es Konflikte zwischen den Modulen gibt, und was geschieht, wenn zwei Module gleichzeitig stark aktiviert sind. Diese Erläuterungen mögen erklären, warum wir uns manchmal nicht im Griff haben, z.B. den Appetit zu kontrollieren und welche Regeln – falls vorhanden – von uns bewusst beeinflusst, beziehungsweise kontrolliert werden können.

Bildquellen:

Les Bourgeois de Calais (August Rodin) foto: Introvert
Warner Bros.
Castle Rock Entertainment

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