Photo: Ben Hur

Dies ist der dritte Artikel zum Thema Gewohnheiten. Hier finden Sie Teil I und Teil II.

„Achtsam sein“ wird sowohl in der Praxis als auch in wissenschaftlichen Diskussionen unterschiedlich definiert. Eine begriffliche Definition von Achtsamkeit wäre, dass „sie die bewusste Fokussierung der Aufmerksamkeit auf die augenblickliche Erfahrung ist, ohne dass wir uns dabei zu Urteilen oder vorgefertigten Ideen und Erwartungen verleiten lassen“ (siehe Jon Kabat-Zinn, 2008). Eine andere Definition ist, dass wir „durch Achtsamkeit das voreilige Ausschliessen von Möglichkeiten vermeiden, das oft mit der „Verhärtung von Kategorien“ verbunden ist“ (Cozolino, 2002), bei der wir „unsere Wahrnehmung der Welt filtern und begrenzen“ (Langer, 1997). Bleiben wir geistig offen, fördern wir in unsrem Alltagsleben die Kreativität. Schon das Wort „achtsam“ beinhaltet Bedachtsamkeit, Rücksichtnahme und Wachheit.

Um mit anderen achtsam umzugehen, so glaubt Ihr Autor, ist es zuerst notwendig, mit sich selbst achtsam umzugehen. Präsent sein und zumindest ab und zu (und regelmässig) über unsere Gewohnheiten reflektieren, während wir tief in unser Leben – in unsere Seinsweise – schauen, um der Mensch zu werden, der wir sein wollen.

Sich helfen, mental zu wachsen und sich zu entwickeln funktioniert, indem man sich, wissenschaftlich fundiert, mit sich und seinen Gewohnheiten auseinandersetzt. Im Wesentlichen heisst das, dass wir uns gewissenhaft und bedacht verhalten – und die dabei entstehende eigene Präsenz hilft uns entscheidend, unsere Umwelt zu gestalten. Wie es vor dem Start des Flugzeuges heisst, müssen wir uns zuerst selbst die Sauerstoffmaske anlegen, bevor wir den anderen Menschen um uns herum helfen. Über uns selbst reflektieren, anstatt wie so oft andere vorschnell zu beurteilen.

Wir verhalten uns häufiger, sind quasi befangen durch den Autopiloten, auf der Basis unserer Gewohnheiten, als uns bewusst ist. Gewohnheiten ändern, ist nichts anderes als sein Verhalten zu verändern, ist nichts anderes als Veränderung an sich, dazu braucht es zuerst die Achtsamkeit, die Gewohnheit zu erkennen. Ein Verständnis dafür, was da genau in unserem Hirn abläuft, Wissen, warum unser Hirn uns so gerne an der Nase herumführt, eine Analyse unserer versteckten Bedürfnisse, die Reflexion über unsere Grundwerte und letztendlich ein Verständnis dafür, wie wir unser (achtsames) Gewahrsein schulen können.

Jegliche Veränderung bedeutet Aufwand für uns und am Anfang vor allem bewussten Aufwand. Es dauert, bis sich neue Gewohnheiten von der bewussten Inkompetenz (man will, aber tut es noch nicht) zur bewussten Kompetenz (man tut es manchmal) zur unbewussten Kompetenz (es ist eine Gewohnheit geworden – man tut es automatisch) entwickelt.

Innere Stärke hängt von der Befriedigung unserer sechs Bedürfnisse nach Sicherheit, Abwechslung, Signifikanz, Liebe und Beziehung, Wachstum und Beitragen ab (hier mehr: Wir haben nur 6 Grundbedürfnisse). Wir können unsere Gewohnheiten jeweils einem oder mehreren Bedürfnissen zuordnen. Ich behaupte, jegliches Verhalten und damit jegliche Gewohnheit, lassen sich mit etwas Nachdenken tatsächlich immer zuordnen. Die Bedürfnisse motivieren unser Verhalten, egal ob angelernt, bewusst oder unbewusst ausgeführt, es geht darum, entweder ein Bedürfnis zu befriedigen oder darum, für eine fehlende Befriedigung zu kompensieren.

Man ärgert sich über den anderen, wenn z.B. das Bedürfnis nach Signifikanz vom Gegenüber nicht honoriert wird, wenn der Status angegriffen wird – ist ziemlich häufig am Arbeitsplatz zu beobachten (dummerweise auch die häufigste Ursache von Streit zu Hause – in beiden Fällen – wer denkt der/die, dass er/sie ist?).

Der Weg vom „Human-Doing“ zum „Human-Being“ hängt von nur vier Aspekten ab.

⟹ Als erstes geht es darum, zu erkennen, was gut und was eben nicht so gut für einen ist. Welche Grundbedürfnisse sind ausreichend erfüllt, an welchen gilt es zu arbeiten? Geht es mir gut?

⟹ Dann definiert man die Ressourcen und Verhaltensweisen (inklusive Gewohnheiten), die einem zur Verfügung stehen. Gerade in dem Moment zwischen Stimulus und unserer Reaktion (dort wo unsere Freiheit sich versteckt). Eile auf dem Weg zu mehr glücklich sein mit Weile. Wie gehe ich damit um?

⟹ Wie im richtigen Leben kommt dann der Schiedsrichter dazu. Es gilt zu regulieren, zu ordnen und dann erst zu entscheiden, welches Verhalten das momentan richtige Verhalten ist. Erklärt dir der Schwager, der dich nach Hause fährt, dass deine Frau eine riesige Überraschungsparty für dich geplant hat. Wie verhältst du dich? Welche Optionen stehen mir zur Verfügung?

⟹ Man kann sich nicht nicht verhalten und unser Verhalten hat Einfluss auf die Menschen um uns herum. Deshalb halten wir ja schliesslich an der roten Ampel an. Wer wird durch meine Entscheidung beeinflusst?

Bei unseren Gewohnheiten, die automatisch ablaufen und insbesondere bei jenen, die „eigentlich“ nicht unserem Wesen entsprechen, kommt die Reflektion über die vier Aspekte meist zu kurz.

Das ist jedoch noch nicht alles. Betrachten wir unsere sechs Grundbedürfnisse und kombinieren sie mit den vier Aspekten, dann enden wir ab mit 24 Strängen, die an uns ziehen. Alles gut, wenn die 24 in die gleiche Richtung wollen. Eine vierspännige Kutsche ist schwieriger zu lenken als ein Zweispänner. Befinden sich 24 Pferde vor der Kutsche, dann nennen wir das Leben.

Der Kutscher[i] muss seine Fähigkeiten trainieren, mit seinem Ozean an Gefühlen, Erinnerungen und Träumen – aber auch mit seinen Ängsten, Groll und Enttäuschungen umzugehen. Der grösste Teil dieser Fähigkeiten findet sich in unseren Gewohnheiten und darum geht es in meinem Kurs:

„Das Hirn trainieren – Gewohnheiten nachhaltig transformieren.“

[i] Kutscher – auf Englisch: Coach. Sein eigener Coach werden.