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Aufschieberitis I

Verschiebe nicht auf morgen, was genauso gut auf übermorgen verschoben werden kann.

Mark Twain

Viele Menschen schieben Aufgaben gerne vor sich her, obwohl wir wissen, dass dieses Aufschieben nur unnötigen Druck erzeugt und im schlimmsten Fall der Gesundheit schadet.

Seit Monaten steht der Termin fest für die Präsentation fest, eigentlich wollte ich mir den Kurs „Besser Zuhören – Besser Kommunizieren“ in Ruhe anschauen, die Garage soll aufgeräumt werden, das Buch wollte ich lesen und hier können Sie einsetzen, was auf Ihrer Prokrastinations-To-Do-Liste steht…

Es gibt zwei Dinge im Leben über die wir fast alles wissen: Lust und Schmerz. Im Prinzip mögen wir die Dinge, die uns Freude bereiten und wir vermeiden Dinge, die uns Schmerz bereiten. Eine grundlegende Definition der Aufschieberitis ist, jetzt etwas zu tun, was ebenso zu einem späteren Termin erledigt werden könnte, um eben genau jetzt diese wichtige Aufgabe nicht anzupacken. Warum wir aufschieben, prokrastinieren ist es wert genauer untersucht zu werden und eventuell gefällt Ihnen das gar nicht. (Prokrastination, lat.: procrastinare „vertagen“, pro „für“ und cras „morgen“)

Die Grundursache des Zauderns ist, dass wir eine Aktivität, ein Ereignis oder ein Verhalten vermeiden, weil wir befürchten, dass es uns Schmerz, in irgendeiner Form, bereiten wird. Es ist schlicht und ergreifend Angst. Wir sind sogar schon konditioniert und haben uns an diesen Schmerz gewöhnt, haben aufgehört zu registrieren, wie unser Körper auf Angst reagiert. Wir können jedoch unserem Gehirn die Schuld dafür geben:

Wir leben länger, wenn wir Dinge, die uns Schmerz bereiten können, wie zum Beispiel einen Säbelzahntiger, vermeiden. So fortgeschritten unser Hirn auch ist, ein primitiver Teil, tief in der Amygdala versteckt, kann manchmal den Unterschied zwischen einem Säbelzahntiger und dem Klingelton des Telefons nicht vornehmen. Infolgedessen reagiert unser Körper beinahe identisch auf beides. Unsere Atemfrequenz steigt, wir fühlen den Anstieg von Adrenalin und unser Körper ist nun bereit für den ultimativen Überlebenstest: Kampf oder Flucht. Der überlegende Teil im Hirn kann zwar Logik einsetzen, das Klingeln des Telefons ist nicht lebensgefährlich, aber der primitive Teil behält häufig die Oberhand und erzählt uns, dass wir in Gefahr sind. Diese Angst, dass wir irgendwie in Gefahr sind führt dazu, dass wir bestimmte Aufgaben nicht erledigen und sogar lieber die Spülmaschine ausräumen, anstatt die Präsentation in Angriff zu nehmen.

Warum zögern wir?

Es gibt viele Theorien um unsere Tendenz des Zauderns zu erklären:

⇒  Wir haben Angst, dass wir scheitern werden.

⇒  Wir haben Angst, dass wir Erfolg haben werden.

⇒  Wir haben Angst, dass wir nicht genügend Information haben.

⇒  Wir haben Angst, dass es Zeitverschwendung ist.

⇒  Wir haben Angst, dass wir etwas verpassen.

Fragen Sie 10 Menschen, warum sie zögern und Sie werden wahrscheinlich 11 Gründe zu hören bekommen. Tatsächlich gibt es allerdings nur einen Hauptgrund für unsere Tendenz zu zögern: Was auch immer die Aufgabe ist, die wir vermeiden, sie verursacht uns ein gewisses Mass an Schmerz.

Dies ist nicht unbedingt eine rationale Funktion unseres gut entwickelten Denkprozesses. Es ist eine automatische Reaktion, so instinktiv, genauso wie wir dir Hand von der heissen Herdplatte nehmen. Wenn wir zögern etwas zu tun, dann verarbeiten wir so etwas wie Alarmstufe rot. Das kann sich körperlich bemerkbar machen, bei der Atmung und der Herzfrequenz, kann ein vages Gefühl sein oder sich einfach nur latent als unangenehm anfühlen. Heimtückisch daran ist, dass wir dies die meiste Zeit nicht als Angst erkennen, sondern denken, es gibt etwas Besseres zu tun.

Sie kennen das, das Material für die Präsentation ist gesammelt, keine grosse Sache, und morgen erledige ich das. Dann, morgen, findet man etwas, was zuerst erledigt werden muss. Das ist der Anfang von dem, was man Vermeidungsverhalten nennt, vereinfacht, sich mit einer unwesentlichen Aufgabe zu beschäftigen.

Wie hat Sir Peter Ustinov dies erklärt:

Die Menschen, die etwas von heute auf morgen verschieben, sind dieselben, die es bereits von gestern auf heute verschoben haben…

…bis zur Deadline, ich liebe dieses Geräusch, wie sie an uns vorbeisaust.

Ist Aufschieberitis vermeidbar?

Ein paar Gedanken, die zwar bei Aufschieberitis nicht helfen, aber das Wissen darum hilft um Zeit zu sparen und um erfolglose Lösungsansätze zu vermeiden.

Willenskraft

Mit ein bisschen mehr Disziplin, der Fähigkeit sich besser zu fokussieren, könnte man es doch einfach tun. Weit gefehlt, das ist zwar in der Regel die Antwort auf Zaudern, aber funktioniert es? Denken Sie darüber nach, wie oft Sie versucht haben, etwas mit Willenskraft zu erledigen? Wie oft sind Sie gescheitert? Ich bestimmt häufiger als dass ich es geschafft hätte und teuflisch dabei ist, dass mit jedem Misserfolg ein Muster des Verlierens etabliert wird, was dann zu einem negativen Selbstbild führt. Dies führt (unbewusst) wahrscheinlich zu noch mehr Ängstlichkeit und unterstützt und nährt die Prokrastination sogar. Wahr ist, dass unsere Willenskraft sehr limitiert ist und im Laufe des Tages stetig abbaut.

Positives Denken

Positives Denken und Selbstbejahung mag in manchen Situationen Wunder erwirken, aber nicht wenn es ums Aufschieben geht. Angst, die sich bereits „manifestiert“ hat, lässt sich mit positivem Denken nicht beeinflussen, sondern erhöht nur den Widerstand. Da steht ein riesiger Teller mit zappelnden Würmern zum Abendessen bereit. Funktioniert der positive Ansatz, Vanilleeis mit Schokoladensauce über die Würmer zu giessen?

Der Schneeball Effekt

Wenn man nichts gegen die Aufschieberitis unternimmt, ist es wahrscheinlich, dass sie zu einer Gewohnheit wird. Was noch hinzukommt, eine Aufgabe von heute auf morgen verschoben, bedeutet, dass zu den morgigen Aufgaben die heutige hinzukommt. Das ist wie Sisyphusarbeit, das wird ein immer grösseres Monster.

Was kostet uns die Aufschieberitis?

Geld

Ich verstehe Menschen, die Rechnungen hassen, aber bezahlt werden müssen sie doch. Was zählt ist, jede Rechnung, die zu spät bezahlt wird, kommt eventuell mit einer zusätzlichen Gebühr daher. Bei den Kreditkarten umso schlimmer, da die Zinskosten exorbitant hoch sind.

Karriere

Zu wem wird der Boss das nächste Mal gehen und um die Erledigung der Aufgabe fragen, wenn ich zwar die wichtige Präsentation letztendlich erstellt hatte, aber eben nicht rechtzeitig für den wichtigen Termin mit dem potentiellen Neukunden?

Beziehungen

Wie oft werden Versprechungen nicht eingehalten? „Es tut mir leid“, sagt man. „das ist schon OK“ hört man, aber wie oft? Nachdem sechsten Male gibt es dann diesen Blick…- oder man kommt nach Hause und ein Fremder kümmert sich um die Spülmaschine, oder was auch immer, weil man es Woche für Woche aufgeschoben hat.

Wie ernst ist das Problem?

Prokrastination ist mehr als eine Irritation. Millionen Menschen suchen Therapie und andere Unterstützung um besser mit der Aufschieberitis umzugehen. Neuere Research-Ergebnisse zeigen, dass mehr als 20% der Menschen aufgrund ihrer Schieb-Gewohnheiten ihre Karriere, ihre Gesundheit und ihre Beziehungen gefährden.

Auf den ersten Blick erscheint Prokrastination wie ein Witz, wir alle kennen jemanden der schiebt, und wir geben zu, dass es auch uns, natürlich nur sehr selten, passiert. Der Spass hört dort auf, wo wir erkennen, wie es uns in unserer Entwicklung bremst und wie teuer es uns zu stehen kommen kann.

Prokrastination ist kein Witz, es ist eine paralysierende Gewohnheit und deshalb geht es nächste Woche weiter mit Teil II, „Wie mit Aufschieberitis umgehen?“.

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