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Anleitung zum Umgang mit negativen Emotionen

Es ist sehr früh am Morgen. Gerade aus dem Bett, als erstes einen Blick aus dem Fenster: Die Sonne steht knapp über dem Horizont, wärmt bereits und ausser dem Morgendunst keine Wolke am Himmel zu sehen.

„Wow, das wird ein wunderbarer Tag heute!“

Dann frage ich mich: Ist das jetzt ein Gefühl, das ich habe oder bin ich emotional berührt ob der Schönheit des Sonnenaufgangs? Und wenn mein Hirn mir gerade mitteilte, dass es ein wunderbarer Tag wird, wer hört hier eigentlich zu? Gesprochen habe ich kein Wort und ich bin alleine am Schlafzimmerfenster.

Überhaupt, was ist der Unterschied zwischen Emotion und Gefühl? Was ist zuerst da? „Jetzt sei doch nicht so emotional“, denke ich. Und dann sinniere ich, kommt jetzt nicht erschwerend hinzu, dass teilweise in unserer Gesellschaft die Vorstellung vorherrscht, Gefühle sind eher störend bei Entscheidungen und für klares Denken? Frauen und Kinder als Vertreter der emotionalen Seite? Männer als solche für das Rationale?

Kaffee oder Tee heute Morgen?  Diese Entscheidung ist einfach: Ich brauch‘ erst mal ‘nen Espresso.

Meine Liebste träumt wahrscheinlich noch, also ran an die Frage und zwar ohne Emotionen. Antonio Damasio, eingeladen über Google, (da muss ich keinen Kaffee anbieten) hilft:

 „In unserem täglichen Leben benutzen wir die Begriffe gegenseitig austauschbar und das zeigt wie eng sie beieinander liegen. Für die Neurowissenschaft sind Emotionen mehr oder weniger die komplexen Reaktionen, die unser Körper aufgrund von Stimuli erfährt. Wenn wir Gefahr empfinden, beginnt unser Herz schneller zu schlagen, der Mund wird trocken, wir werden blass und unsere Muskeln spannen sich an. Diese emotionale Reaktion entsteht automatisch und unbewusst. Gefühle entstehen, nachdem wir in unserem Hirn diese physischen Veränderungen erkennen; nur dann spüren wir Angst als Gefühl.“

Nun, was können wir damit anfangen? Wir leben in einer Zeit, in der die Menge der zu verarbeitenden und auszutauschenden Informationen uns teilweise überflutet. Neben dem Wissen sollen wir auch noch die Fähigkeit weiterentwickeln, Emotionen zu spüren, zu erleben und auszutauschen? Oh ja, denn das führt zu mehr emotionaler Kompetenz,  haben wir doch die Emotionale Intelligenz (EI) schon in petto.

Wenn Antonio oben Recht hat, dann habe ich auf meine Emotionen genauso viel Einfluss wie auf meinen Harndrang. Letzthin bei einem Abendessen mit guten Freunden hatten wir darüber diskutiert. Nicht über den Harndrang, sondern über den Umgang mit Emotionen, und festgestellt, dass es doch schlechte Tage gibt, dass man unglücklich sein dürfe und dass das gut sei.

Also: Wenn die Emotion mein Gefühl auslöst, Gefühl demnach etwas Gedachtes ist und ich keine Kontrolle über meine Gedanken habe, wie gehe ich dann damit um?

Keine Kontrolle über die Gedanken, das stimmt:

lion ssFür die nächsten 10 Sekunden, denken Sie bitte nicht an den Löwen, der hungrig auf Sie zu rennt. Sehen sie ihn?

Der Grossteil der Leser sieht den Löwen und seine Reisszähne deutlich, umso mehr, als man versucht, dieses Bild zu unterdrücken. Also, von wegen Kontrolle.

In meinem Hirn quatscht die Stimme andauernd vor mich hin. Beim an der Kasse Anstehen, im wichtigen Meeting, wenn ich einschlafen will, mitten in der Unterhaltung und wenn ich etwas aufs Papier bringen will, ein passendes Wort suche, da geht die Post erst richtig ab: „Ist das relevant? Niemand will das lesen! Hast du nichts Besseres zu tun?“

Der da quatscht, das ist der „Denker“  und der da zuhört, das ist der „Beobachter“, sagt der Zen-Buddhismus. Westliche Therapie-Methoden, wie die Akzeptanz-Commitment Therapie, ACT in Kurzform, arbeiten mit dem gleichen System:

Der Denker und der Beobachter

Der andauernde Kommentator ist der Denker, das ist unser Hirn in Aktion. Genauso läuft es mit unseren Emotionen und Gefühlen, und zwar leiden wir nicht direkt unter unseren negativen Emotionen, sondern mehr darunter, dass wir sie nicht loslassen können oder versuchen, sie zu unterdrücken. „Ich darf jetzt keine Angst haben, zu denken“, ist wie zu versuchen, nicht an den Löwen zu denken. Das funktioniert in unserem Hirn einfach nicht.

Faszinierend ist dagegen das Zebra: eine Minute nach dem überlebten Angriff des Löwen, der sich für ein anderes Tier entschieden hat, weidet es cool wie Oscar und geniesst das Gras der Savanne, als ob nichts passiert wäre.

Nun, das ist für mich deshalb so wichtig, weil ich glaube, dass die meisten unserer negativen Emotionen und Gefühle entstehen und sich manifestieren, weil wir nicht bewusst zwischen dem Denker und Beobachter unterscheiden.

Die meisten Menschen wollen ihre negativen Gedanken und Gefühle loswerden. Sie wollen sich nicht gestresst, einsam, ängstlich, ärgerlich, eifersüchtig oder nervös fühlen. Das macht Sinn.

Aber die Gedanken haben wir nicht im Griff, denn die initiiert der Denker. Gedanken kommen aus dem Nichts, auf jeden Fall meistens. Manche Gedanken und Emotionen werden durch Impulse, von innen und/oder von aussen, ins Leben gerufen. Das war schon immer so und bleibt bis auf weiteres auch so.

Was wir im Griff haben, ist unser Umgang mit Gefühlen und Gedanken. Wir können entscheiden, zumindest wenn wir wollen, dass wir die Wahl haben, unsere Gedanken und Emotionen mit dem Beobachter zu erkennen und damit zu vermeiden, dass wir uns mit dem Denker identifizieren.

Anstatt zu sagen (zu denken): „ich bin ärgerlich“, vielleicht besser: „ich fühle mich ärgerlich“. Anstatt: „ich bin nervös“, lieber: „ich fühle mich nervös“. Anstatt: „ich bin gestresst“, lieber: „ich fühle mich gestresst“.

Das scheint auf den ersten Blick keinen Unterschied zu machen. Tatsache ist, dass Emotionen in unserem Reptilien-Hirn entstehen und unsere Gefühle im präfrontalen Kortex verarbeitet werden. Wenn „ich bin gestresst“ umgewandelt wird in „ich fühle mich gestresst“, dann ist dies der erste Schritt, sich mit der Emotion auf eine andere Art auseinanderzusetzen. Anstatt den Stress als Teil seiner selbst zu empfinden, wird er zu einer Erkenntnis, die man von aussen beobachten kann und dessen Ursache man „bearbeiten“ kann. Wie der Meditationslehrer sagt: „Die Gedanken und Gefühle sind wie Wolken am Himmel, sie ziehen vorbei.“

Über den Umgang mit emotionalen Problemen

Oft reagieren wir auf emotionale Probleme mit Widerstand, verneinen sie oder unterdrücken sie. Bei der Vielfalt an möglichen Ablenkungen, die sich um uns herum anbieten, ist es gar kein Problem, seine Aufmerksamkeit auf etwas anderes zu richten, wenn uns unser Gefühl nicht gefällt.

In mehreren wissenschaftlichen Tests entschieden sich die Probanden lieber für mondäne Aktivitäten, sogar für elektrische Schocks, als alleine mit ihren Gedanken zu verweilen. Weniger gesundheitsschädlich erscheinen mir die folgenden Schritte:

1.  Bewusst starke Gefühle und Emotionen mit Aufmerksamkeit erfassen. Sie erkennen und als Beobachter analysieren. Wo kommen sie her, was ist die Ursache? Sich de-identifizieren, denn jede Wirkung hat eine Ursache. Erinnern Sie sich? Wir sind nicht unsere Gedanken.

2.  Die Dinge beim Namen nennen. Alle Cocktails, welche die Amygdala (der Teil im Hirn, der für unsere Emotionen zuständig ist) für uns zubereitet, verlieren einen nicht unerheblichen Teil ihrer Wirkung, wenn wir sie benennen (Studie). Also wenn wir uns ärgerlich fühlen, uns einfach mitteilen, „aha, das ist also Ärger!“ und schon geht das Adrenalin zurück.

3.  Neugierig sein. Anstatt zu verdrängen, die Emotion ohne Wertung untersuchen. Welche Gefühle erweckt die Emotion? Was fühle ich genau? Wo in meinem Körper fühle ich es? Wie fühlen sich meine Muskeln an, wo bin ich verspannt? Wie atme ich? Welche Farbe hat es? Beobachten und wertfrei begutachten. Sind es nicht einfach Wolken am Himmel, die da vorbeiziehen?

Je mehr ich mich mit meinen Emotionen auseinandersetzte, umso mehr hat sich mein Verhältnis zu meinem Hirn verändert. Heute ist die Beobachtung, warum ich wie und warum ich was denke (da kann vieles in den Papierkorb) beinahe automatisch. Mit Meditation kombiniert, führt es meines Erachtens zu mehr Achtsamkeit mit sich selbst.

Den Unterschied zwischen Denker und Beobachter erkennen. Viktor Frankl (Holocaust Überlebender) hat es in einem Satz zusammengefasst:

„Zwischen Reiz und Reaktion liegt ein Raum. In diesem Raum liegt unsere Macht zur Wahl unserer Reaktion.
In unserer Reaktion liegen unsere Entwicklung und unsere Freiheit.“

Inspiriert und Dank an Patrick Edblad

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