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Entscheidungsfehler

Photo: Wesleyan University

Entscheidungsfehler

Jeden Tag treffen wir Entscheidungen und wir möchten wissen, was das Richtige ist. In der Tat, wenn uns tatsächlich jemand sagen könnte, was jederzeit das Richtige wäre, dann wäre das Leben so viel einfacher.

Entscheidungen, die wir treffen, hängen von unserer aktuellen Verfassung ab. So manche Entscheidung, die spät am Abend getroffen wird, findet man am nächsten Morgen nicht ganz so gut wie am Vorabend.

Unsere emotionale Situation hat ebenso einen Einfluss auf unsere Entscheidungsfindung. Jetzt auch noch den Müll bei dem Hundewetter raustragen, jetzt, nachdem ich heute schon zweimal patsch nass geworden bin?

Unsere Aufmerksamkeit spielt uns zudem noch den einen oder anderen Streich. Oft sehen wir die Dinge, wie wir sie sehen wollen und interpretieren sie nach unserer ganz eigenen Meinung. So haben verschiedene Menschen, wenn sie den Handschlag oben sehen, verschiedene Empfindungen und assoziieren Unterschiedliches.

Im Prinzip könnte uns die Mathematik bei der Entscheidungsfindung helfen. Daniel Bernoulli (1700 – 1782) hatte die Formel schon damals erstellt:

Formel

„Erwarteter Wert“ = „Wahrscheinlichkeit des Ereignisses“ multipliziert mit dem „Wert des Ereignisses“.

Wenn ich Ihnen sagen würde, lassen Sie uns Kopf oder Zahl spielen. Ich werde eine Münze werfen, bei Kopf zahle ich Ihnen 10 Franken. Damit Sie aber mit mir spielen dürfen, beträgt Ihr Einsatz vier Franken. Würden Sie die Wette annehmen?

Wir wissen, die Wahrscheinlichkeit, zu gewinnen, liegt bei 50%, der Wert ist 10 Franken. Dieses miteinander multipliziert, ergibt fünf, das ist höher als Ihr Einsatz. Also die Wette gilt und macht definitiv mathematisch Sinn, ausser die Münze ist gezinkt.

Die Idee ist einfach, wenn wir sie auf die Münzproblematik anwenden. Im Alltag ist dies nicht ganz so eindeutig. Da gibt es zwei Fehleinschätzungen, die uns austricksen können: Erstens, beim Einschätzen der Wahrscheinlichkeit und zweitens, beim Einschätzen des Erfolgswerts.

Wie beim Handschlag oben, bei dem Sie eventuell nicht die sechs Finger der Hand „gesehen“ haben, ist es auch bei unseren Entscheidungen manchmal nicht offensichtlich.

2016-01-07 10_15_41-Lecture 1.4_ The Psychological Construction of Reality Hand 2

Photo: Weselyan University

Wahrscheinlichkeit

Ein Würfel hat sechs Seiten, eine Münze zwei und ein Kartenspiel 52 Karten. Wir wissen, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, die Herz-Dame aus dem Karten-Deck zu ziehen.

Nun, Wissenschaftler in USA haben Menschen wie Sie und ich gefragt, wie hoch sie die Anzahl der Sterbefälle pro Jahr pro 200 Millionen Bürger einschätzen. Die durchschnittlichen Umfrage-Ergebnisse waren:

Ursache Schätzung Tatsächlich
 

Tornado

Feuerwerk

Asthma

Ertrinken

 

564

160

506

1684

 

90

6

1886

7380

Quelle: Dan Gilbert

Es fällt auf, in den beiden ersten Beispielen wurde masslos überschätzt, während in den beiden letzten signifikant unterbewertet wurden. Der Grund ist klar, Tornados füllen die Frontseite der Zeitung und über Ertrunkene wird meist mit Zeilen, ohne Bild, neben den Todesanzeigen berichtet.

Wir vergleichen, was passiert mit dem was wir erlebt haben, oft gesehen haben aber nicht notwendigerweise überlegen wir uns, was denn ausserdem möglich ist.

Welches Bild fällt aus dem Rahmen?

Pool

Quelle: Dan Gilbert

Sie liegen richtig, falls Sie sich für den Pool entschieden haben. Sterben doch jedes Jahr mehr Menschen im Pool, als durch Tornados, Flugzeugabstürze und Terrorattacken zusammen.

Lotto spielen ist ebenfalls ein hervorragendes Beispiel. Warum spielen Menschen Lotto? Unter anderem, weil manche gewinnen. Wir lesen darüber in der Zeitung, wenn ein Super-Jackpot, nachdem mehrere Wochen kein Hauptgewinn gezogen wurde, einen Rekordverkauf an Losen hervorruft.

Im Swisslotto liegen die Gewinnchancen bei 1: 31‘474‘716. Würden alle 31’474’715, die den Jackpot nicht gewonnen haben, jeweils eine Sekunde lang auf dem Bildschirm auftauchen, der Gewinner strahlend am Schluss, dann müssten man 59,8 Jahre, ohne Pinkelpause, vor der Glotze sitzen.

Stellen Sie sich ein Spiel vor, das mit zehn Losen gespielt wird. Neun sind bereits verkauft. Das Los kostet einen Franken, wenn Sie gewinnen, erhalten Sie zwanzig Franken. Würden Sie kaufen? Die meisten Menschen würden sagen: „Ok, ich spiele.“

Eine leicht abgewandelte Variante: Stellen Sie sich vor, alle neun Lose gehören einem fetten Typen namens Willy. Willy hat neun Lose. Eines ist noch übrig. Würden Sie es kaufen? Die meisten Menschen wahrscheinlich nicht, obwohl sich die Gewinnchancen nicht geändert haben. Sie können nicht mehr sagen, „meine Gewinnchance ist genauso hoch wie die der anderen Spieler“. Ihre Entscheidung, zu spielen, hat sich verändert, weil ein Typ alle anderen Lose hat – statistisch macht es allerdings kein Unterschied.

Das Einschätzen der Gewinnchancen, so schwierig es auch erscheinen mag, ist eine Kleinigkeit, verglichen mit dem Versuch, den Wert zu schätzen. Der Versuch, zu sagen, wie viel etwas wert ist, wie sehr wir uns daran erfreuen oder wie viel Vergnügen es uns bereitet, ist tatsächlich nicht ganz so einfach.

Wert

Stellen Sie sich vor, Sie gehen ins Theater. Das Ticket im Wert von 100 Franken steckt im Portemonnaie neben einer 100-Franken-Note und Sie sind auf dem Weg ins Theater. Angekommen, stellen Sie fest, dass Sie irgendwo auf dem Weg die Eintrittskarte verloren haben. Würden Sie Ihre verbleibenden 100 Franken für eine neue Eintrittskarte ausgeben?

Die meisten eher nicht, 200 Franken für’s Theater, das ist einfach zu viel!

Eine leicht abgewandelte Variante: Sie haben zwei 100-Franken-Noten im Geldbeutel und verlieren auf dem Weg eine Note, würden Sie immer noch ins Theater gehen? Ich denke ja, selbstverständlich, denn: “ ich kam ja ins Theater um das Stück zu sehen. Was hat das mit dem Verlust der 100 Franken zu tun?“ Sowohl Ticket als Banknote bestehen im Prinzip aus Papier, allerdings haben sie selten ein Portrait (wie auf der 100 Franken Note) von Alberto Giacometti auf der Eintrittskarte.

Oder: Sie wollen sich ein iPhone kaufen. Um die Ecke kostet es 600 Franken. Auf der anderen Seite der Stadt gibt es einen Laden, der verkauft das gleiche Ding für 300 Franken. Fahren Sie nun für einen quasi 50%igen Rabatt durch die Stadt und sparen 300 Franken? Die meisten sagen, sie würden es tun. Sie können sich nicht vorstellen, das iPhone für den doppelten Preis zu kaufen, wenn sie es mit nur einer Stadtrundfahrt für die Hälfte bekommen.

Aber: Sie wollen ein neues Auto kaufen. Der Händler in Ihrem Revier hat den Stadtwagen für 47‘000 Franken. Falls Sie aber ans andere Ende der Stadt fahren, könnten Sie es für 46‘700 Franken bekommen. Jetzt sind die 300 Franken eine Ersparnis von 0,64 Prozent. Die meisten sagen nein, sie werden doch nicht bis ans andere Ende der Stadt fahren, um 300 Stutz zu sparen….

Doch: 300 Franken sind 300 Franken, egal, wo sie gespart werden. Wir Menschen ticken nur selten so. Da werden Super- oder Cumuluspunkte gesammelt, aber ob der Fondsmanager 0,10% oder 0,15% als Gebühr verrechnet, bleibt im Hintergrund.

So manches tun wir, weil wir uns dabei gut fühlen. Zum Beispiel, obwohl man weiss, dass man die letzten zwei Jahre mehr für Lose ausgegeben als gewonnen hat, wird jede Woche gekauft. Warum? Nicht weil er oder sie dumm sind, nein, weil die Vorfreude aufs Gewinnen Serotonin ausschüttet und das verursacht ein verdammt gutes Gefühl – bis zur Ziehung, wenn das Verlieren klar ist.

Ein Ökonom würde antworten, „einverstanden, bleibt abzuwarten, ob die Vorfreude genau den Grad der Enttäuschung nach der Lottoziehung aufzuwiegen vermag“. Erinnern Sie sich? Diejenigen, die kein Los gekauft haben, fühlen sich auch nicht schlecht.

Problem

Viele Entscheidungen treffen wir spontan, aus dem Bauch heraus und selten fragen wir uns, inwieweit diese Entscheidung jetzt Einfluss hat auf unsere langfristigen Ziele. Wir tendieren dazu, Fehler beim Einschätzen der Wahrscheinlichkeit und beim Definieren des Wertes für uns zu machen.

Man stellt sich die nahe Zukunft viel lebhafter vor als die ferne Zukunft. Also, ob man gerne zusätzlich 100‘000 Franken haben möchte, wenn man 65 ist, ist eine andere Frage als sich vorzustellen, wer man mit 65 sein wird. Ob man noch leben wird, wie man aussehen wird, wie viele Haare man haben wird und mit wem man leben wird? Haben wir uns diese Details wirklich vorgestellt, dann verspüren wir eventuell, dass es wichtig sein könnte, heute zu sparen, damit der Typ ein bisschen mehr Rente hat.

Im Prinzip leben wir eine, zu den oben genannten Fehlermöglichkeiten, zusätzliche menschliche Tendenz, die lautet:

„Ich lebe heute, und deshalb ist das Jetzt viel wichtiger als das Später.“

Und ja, wir wollen alle im Hier und Jetzt leben. Das ist auch gut und richtig so.

Doch sind Weitsichtigkeit, kritisches Hinterfragen der persönlichen Motivation, warum wir jetzt gerade diese Entscheidung treffen und das Erkennen von Realität Wegbegleiter, die wir herzlich auf dem Beifahrersitz willkommen heissen sollten…

Inspiriert und frei nach Dan Gilbert (Autor: Stumbling on Happiness)

 

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